Die politische Gestaltung der Zwangsrepatriierung...

Die politische Gestaltung der Zwangsrepatriierung von Russlanddeutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges von Dr. Ch. Klaus

"Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung… Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schwere Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unrecht sehen. Sie liegen vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen".

(R. v. Weizsäcker. Ansprache des Bundespräsidenten am 8. Mai 1985 im Bundestag zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. 8. Mai 1985. Menschenrecht, Bürgerfreiheit, Staatsverfassung. Verlag Ferdinand Kamp, Bochum 1993, S. 213.).

Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR wurden alle in der Sowjetunion lebenden Deutschen diesseits des Urals, soweit sie nicht in bereits von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten lebten, aus ihren Gebieten hinter den Ural, nach Sibirien oder in die Republiken des Mittelasiens deportiert. Ein Teil der Russlanddeutschen in den westlichen Gebieten der UdSSR waren wegen der rasch vorrückenden deutschen Wehrmacht einer Aussiedlung zunächst entgangen. Aber mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht ab 1943 wurden sie durch Anordnungen der örtlichen deutschen Verwaltung aus ihren ursprünglichen Wohnungsorten in Richtung Deutschland abtransportiert und vertrieben. Insgesamt befanden sich an der Wende1944/45 ca. 350.000 ausgesiedelte Personen deutscher Herkunft oder Abstammung auf dem Boden des "Großdeutschen Reiches" und die meisten von ihnen wurden zunächst im Warthegau angesiedelt. Die Umsiedlung der Deutschen aus der Sowjetunion war von den Nazis zuerst als Vollzug des Punktes 1 des NS- Parteiprogramms ("Zusammenschluß aller Deutschen … zu einem Großdeutschland") und später als Rettungsaktion dargestellt worden. Ihre weitere Vertreibung und Flucht in Richtung Westen erfolgte nach dem raschen Vormarsch der Sowjetarmee im Januar 1945 schon zusammen mit den anderen Ostdeutschen und schließlich landeten die meisten von ihnen im so genannten Altreich. Wenn die am Kriegsende vertriebenen Ostdeutschen hier ihren ständigen Aufenthalt und ihre neue Heimat gefunden haben, so war das Leiden der ins Reich umgesiedelten Russlanddeutschen längst nicht vorbei. Ihr tragischer Weg nach dem Kriegsende war durch die 1944/45 von den Engländern und Amerikanern betriebenen Außenpolitik in der Kriegsgefangenenfrage vorgezeichnet. Durch diese Politik haben die Engländer und Amerikaner ihre eigenen "dunklen" Spuren im besonderen Schicksal der Russlanddeutschen hinterlassen und deshalb möchte ich diese allgemein bekannte Politik im Zusammenhang mit dem außerordentlichen schweren Schicksal von Russlanddeutschen kurz schildern.

Politik der Engländer

Im Frühjahr 1944 wurde offenbar, dass die zweite Front sehr bald gebildet werden würde. Diese gefährliche Expedition bedurfte sorgfältiger Planung und zu den Gesichtspunkten gehörte auch die Frage der russischen Truppen in deutschen Diensten und der Bataillone der sowjetischen Zwangsarbeiter, die für den Bau militärischer Einrichtungen eingesetzt wurden. Es wurde geschätzt, dass mehr als 470.000 frühere Sowjetbürger in Frankreich stationiert waren. Sie wurden von den westlichen Politikern pauschal als "Russen" bezeichnet. Dies war ein viel versprechendes Feld für die britische Propaganda und man konnte hoffen, dass diese Sowjetbürger die erste Gelegenheit ergreifen und zum Gegner überlaufen werden, falls ihnen Hoffnung auf Rehabilitierung gegeben würde.

Doch ehe derartige Versprechungen gemacht werden könnten, müßte festgestellt werden, dass die britische Regierung nicht unter Druck Moskaus einwilligt, diese Leute an die Sowjetunion auszuliefern. Darum mußten die höchsten Stellen entscheiden, ob die Russen, die auf diese Propaganda reagieren, auf Verlangen der Sowjets ausgeliefert werden oder nicht? Bei den Sowjets sollte auch angefragt werden, welche Versprechungen den russischen Elementen in Frankreich gemacht werden könnten.

Der britische Botschafter im Moskau beantragte am 28. Mai 1944 durch einen Brief an Molotow die sowjetische Einwilligung dazu, Straffreiheit denjenigen Sowjetbürgern zu versprechen, die zwangsweise in deutschen Diensten standen und die sich bei der ersten Gelegenheit den Alliierten ergaben. Das sowjetische Außenministerium stellte fest, dass die Zahl solcher Personen geringfügig ist und es daher keinem politischen Interesse diene, wenn man einen speziellen Appell an sie richtete.

Am 6. Juni begann die größte Invasion an der Normandie-Küste und anderthalb Monate danach befanden sich schon 1.500 sowjetische Staatsbürger in britischer Gefangenschaft. Sie wurden sogleich nach England transportiert und dort in Lager untergebracht. Die Frage, was mit ihnen geschehen sollte, wurde immer dringlicher. Am 17. Juli wurde diese Frage im Kabinett diskutiert und das Kabinett hat entschieden, die sowjetischen Behörden von dem Vorhandensein dieser Gefangenen zu unterrichten, und "um nicht die Kapitulation anderer zu verhindern, die gezwungen sind, in deutschen Diensten gegen uns zu kämpfen, sollten wir darum ersuchen, vor dem Ende der Feindseligkeit keine Schritte zur Lösung dieser Frage zu unternehmen". Nachdem das Kabinett diese Anweisung gegeben hatte, schrieb der britische Außenminister Eden an den sowjetischen Botschafter Gusew und erläuterte die Schwierigkeiten, die mit dem Unterhalt so vielen Personen in Durchgangslagern verbunden waren. Er schlug vor, die sowjetische Militärmission in London sollte sich sobald wie möglich mit den zuständigen Beauftragten in Verbindung setzten, um eine befriedigende Lösung der Frage zu finden.

Obwohl viele Gefangene der Meinung waren, dass sie von der Sowjetregierung als Verräter behandelt und vermutlich erschossen werden würden, falls sie in die Hände der Sowjets fallen, erwähnte dieser Brief kein Wort darüber, dass die Sowjetregierung sich bis zum Kriegsende jeder harten Behandlung der Gefangenen enthalten würde. Es konnte keine Garantie gegeben werden, dass die Repatriierten nicht bestraft werden, mit dem sich heraus ergebenden Risiko von Repressalien gegen britische Kriegsgefangene in deutscher Hand. Darum wurde es zunächst abgelehnt, Gefangene, die von den Sowjets bestraft werden würden, vor Ende der Kriegshandlungen zurückzuschicken. Die einzig wirksame Methode, die Gefangenen nach diesen Gesichtspunkten einzuordnen, bestand darin, den Wünschen der einzelnen stattzugeben. Der nächste Gedankenschritt war, sie alle zurückzuschicken, aber zugleich von der Sowjets eine Zusicherung zu fordern, vor dem Zusammenbruch Deutschlands keine öffentlichen Bestrafungen dieser Repatriierten vorzunehmen. Die Briten verstanden aber, dass diese Zusicherung von den Sowjets jedoch nicht gegeben würde und schließlich kam die Politik der Repatriierung aller, ungeachtet auf ihre Wünsche, voll und ohne Einschränkung zum Zuge. Das entsprach den Gesichtspunkten des Foreign Office (das englische Auswärtige Amt), das schon seit Juni 1944 entschlossen war, auf die Dauer alle ehemaligen Sowjetbürger zu repatriieren, gleichgültig welches Schicksal ihnen bevorstand. So erklärte der stellvertretende Rechtsberater im Foreign Office Patrick Dean, dass die Tatsache, dass diese Leute unter Umständen erschossen oder sonstigen größeren Härten ausgesetzt werden, "ist nicht unsere Sache". Auch Außenminister Anthony Eden sah sie alle als Verräter an und hatte deshalb zu ihnen kein Mitgefühl.

Die Einstellung des Kriegsministeriums war jedoch eine andere. Der Leiter des britischen Geheimdienstes Lord Selborne war gut über die Sowjetunion informiert und versuchte deshalb seine ernsten Besorgnisse in dieser Angelegenheit dem Premierminister Churchill in einem Brief mitzuteilen und schlug vor, diese Leute irgendwo im Ausland zu unterbringen. Churchill studierte das Appell von Lord Selbornes und war zur Entscheidung gekommen, dass diese Sache im Kabinett am 17.06.1944 etwas zu kurz behandelt wurde. Der Außenminister Eden war unzufrieden, da er sich Gedanken machen mußte, was er mit diesen Leuten machen muß, wenn sie nicht nach Rußland zurückkehren. Und das Foreign Office setzte seine besten Köpfe daran, das Beweismaterial von Lord Selbornes zu überprüfen und zu widerlegen.

Am 2. August schrieb Eden einen ausführlichen Brief an Churchill. Seine Antwort an Lord Selborne ist ein wichtiges Dokument, da es vollständige und begründete Argumente für die Politik der Zwangsrepatriierung enthält. Eden behauptete, dass ein großer Teil der Gefangenen nach Rußland zurückzukehren wünsche. Aber es wurde eindeutig festgestellt, dass viele der Gefangenen nach ihrer Rückkehr der Liquidation entgegenstehen und dass die Gefangenen sich diese Zukunft klar vorstellen und deshalb diese Leute nicht zurück in die Sowjetunion wollten.

Die Liste der Gefangenen vom 26. Juli führte auch Zivilisten, die ihre ganze Zeit in Frankreich als Zwangsarbeiter eingesetzt waren, so wie Flüchtlinge und mehrere Kinder auf. Eden erklärte, die Mehrzahl dieser Leute wollen heimkehren und sie sollten kein Asyl finden, "weil es nicht unser Wunsch sein kann, uns auf die Dauer mit einer Anzahl dieser Leute zu belasten; wenn wir sie nicht zurückschicken, müssen wir uns entscheiden, was… mit ihnen geschehen soll". "Hier wollen wir sie nicht". "Eine Weigerung, der Forderung der Sowjetregierung auf Repatriierung ihrer eigenen Leute nachzukommen, würde zu ernsthaften Schwierigkeiten mit ihnen führen. Wir haben keinerlei Recht zu einer derartigen Haltung, und sie würde unsere humanitären Beweggründe nicht verstehen" .

Weiter schrieb er: "Schließlich ist auch die Lage unserer eigenen Gefangenen in Deutschland und Polen, die wahrscheinlich von den Russen im Laufe ihres weiteren Vordringens befreit werden, für diese Frage entscheidend. Es ist äußerst wichtig, dass sie gut betreut und so bald wie möglich zurückgeschickt werden. Hierhin hängen wir weitgehend von dem guten Willen der Russen ab, und wenn wir ihnen Schwierigkeiten bei der Auslieferung ihrer Staatsbürger in den Weg legen, bin ich sicher, dass dies eine abträgliche Wirkung auf die Bereitwilligkeit haben wird, uns bei der raschen Heimführung unserer eigenen von ihnen befreiten Gefangenen behilflich zu sein". "Aus diesen Gründen bin ich der Überzeugung, dass wenn die Sowjetregierung diese Leute… zurückfordert, wir einwilligen… sollten, sie auszuliefern, vorausgesetzt,… dass wir von den Russen eine eindeutige Zusicherung erhalten, was die Gefahr deutscher Repressalien angeht".

Diese beiden Gesichtspunkte waren von höchster Bedeutung. Keine britische Regierung konnte sich leichtfertig dem Risiko aussetzen, dass die Sowjets als Gegenmaßnahme die Rückführung britischer Kriegsgefangener hinauszögerten, und jede Handlung, die das Einverständnis zwischen Großbritannien und den Sowjets ernstlich aufs Spiel setzen könnte, brachte in einer so kritischen Phase des Krieges zweifellos zu große Gefahren mit sich.

In seinem Brief vom 20. August an die Sowjets bat das Foreign Office um Entscheidung und wies darauf hin, dass sich inzwischen über 3.000 sowjetischen Staatsbürger in britischen Gewahrsam befänden. Diese Leute und weitere, die noch hinkämen, müßten nach Kanada oder in die USA verlegt werden. Drei Tage später forderte der sowjetische Botschafter Gussew die Auslieferung aller Leute, wofür England die dazu notwendige Transportmittel zur Verfügung stellen sollte. Die Kabinettsentscheidung vom 17. Juli, die die Zwangsrepatriierung der Gefangenen vorsah, falls sie gefordert werde, war den Sowjets nicht mitgeteilt worden. Wie schon erwähnt, hatte das Kabinett darauf gedrungen, eine Zusicherung von der Sowjetregierung zu verlangen, doch diese Bedingung war auch in der Mitteilung an den sowjetischen Botschafter unerwähnt geblieben. Man hatte vorgeschlagen, dies aufzubringen, sobald eine Antwort der Sowjetbehörde vorläge.

Am 24. August sandte der Kriegsminister Sirr James Grigg, Eden ein Schreiben, in dem er ausdrückte, dass viele sowjetische Staatsbürger dem sicheren Tod ausgeliefert werden. Er gab aber zu, "wenn es drum ginge, zwischen der Not unserer Leute und dem Tod der Russen zu wählen, liegt unsere Wahl klar zutage".

Das Kabinett trat am 4. September zur Beratung zusammen. Eden betonte, dass das Kabinett beschließen sollte, der Forderung der Sowjetregierung nachzukommen, die Gefangenen aus dem Vereinigtem Königreich zu repatriieren unabhängig, ob diese Menschen zurückwünschen oder nicht. Gleich darauf fügte er zu: "Diese ... Entscheidungen hängen davon ab, ob es mir gelingt, von der Sowjetregierung eine befriedigende Zusicherung zu erhalten, dass diese Leute nicht vor Gericht gestellt und bestraft werden, solange wir mit Deutschland im Kriegszustand stehen". Eden konnte seine Politik durchsetzen, die beiden Minister hatten dagegen ihre Position mehr oder weniger aufgegeben.

Die einige Tausend Sowjetbürger in alliierten Händen waren nur ein kleiner Prozent von denjenigen Sowjetbürgern, die sich noch in Deutschland befanden. Dort gab es russische Kopfeinheiten, hinzu kamen Zwangsarbeiter auf dem Land und in der Industrie, in die deutschen Streitkräfte einberufenen Russlanddeutsche, die infolge des Molotow- Riebentropp Vertrags umgesiedelten Deutschen, russlanddeutsche Flüchtlinge und Vertriebene usw. Der Zwangsrepatriierung aller dieser Leute stimmte das Kriegskabinett ohne Bedenken nach kurzer Diskussion zu.

Am 13. September legte das Foreign Office dem Kriegsministerium einen Brief an den sowjetischen Botschafter vor, in dem ihm die Entscheidung des Kabinetts mitgeteilt und das britische Bestehen auf die Bedingung, "keine Strafen anzuwenden, die die deutschen Repressalien herausfordern", war nicht enthalten. Eden erklärte, dass es eine überflüssige Provokation sei, irgendwelche Bedingungen der Sowjetregierung zu stellen. Das Bestehen auf dieser Zusicherung würde die Sache nur verschärfen. Und die ursprünglich vom Kabinett vorgeschlagene Bedingung, die Sowjets sollten sich in der Behandlung der heimgekehrter Sowjetbürger zurückhalten, wurde endgültig fallengelassen. Das Kriegsministerium stimmte dem Brieftext zu.

Im Winter 1944/45 befanden sich ca. 40.000 Briten und 75.000 Amerikaner in den Kriegsgefangenenlagern, die sich in Ostdeutschland, Polen und den Balkanländern befanden. Es war klar, dass die meisten von ihnen von der Roten Armee befreit werden würden. Schon am 11. Juni baten die Chefs der britischen und amerikanischen Mission in Moskau um Mitteilung, wenn Lager, in denen sich alliierte Kriegsgefangene befanden, befreit werden. Doch damals wurde die Zusammenarbeit ignoriert, aber jetzt wurde den Sowjets mitgeteilt, dass "die frühzeitige Auslieferung der sowjetischen Kriegsgefangenen ganz davon abhängt, welche Erleichterungen den unseren gewährt würden". Und sofort erfolgte die Antwort, dass "die russische Regierung ebenso bestrebt sei, unsere Leute zurückzuschicken, als sie an der Repatriierung ihrer eigenen Landsleute interessiert seien".

Am 27. September wurde den Sowjets erklärt, dass sich angesichts der sowjetischen Unnachgiebigkeit bei der Repatriiereung der Russen des gesetzliche Verfahren, das zunächst den Status der russischen Gefangenen in England definieren müsse. Wyschinski in Moskau und Gussew in London erhoben einen starken Einspruch dagegen, dass England die Sowjetbürger als Kriegsgefangene klassifiziere und verlangten, sie wie die "freien Bürger einer verbündeten Macht zu behandeln". Aber dafür sollte ein neues Gesetz über die Alliierten Streitkräfte verabschiedet werden. Die Sowjets erhoben einen Einspruch gegen dieses Vorhaben, übten einen starken Druck aus und begannen jede Note mit einer Reihe von Beschwerden. Als Folge hatten die Briten nachgegeben, sie fanden sich verpflichtet, den sowjetischen Forderungen stattzugeben.

Plötzlich nahmen die Ereignisse eine neue Wendung, da Churchill über die Interessen der Alliierten an Polen und an den Balkanen persönlich mit Stalin besprechen wollte. Er schlug vor, zusammen mit seinem Außenminister Eden nach Moskau zu fahren und beide flogen am Oktoberanfang dorthin. Eden nutzte diese Reise, um die umstrittenen Angelegenheit der befreiten Sowjetbürger und aller Gefangenen zu erörtern.

Am 11. Oktober 1944 waren die beiden britischen Politiker Gastgeber bei einem Abendessen, das in der Botschaft in Moskau zu Ehren Stalins und Molotows gegeben wurde, und Eden hatte die Gelegenheit, sich mit Stalin zu unterhalten. Der Sowjetführer war in bester Form und legte abweichend Witz, Humor und milde Weisheit an den Tag. Plötzlich wandte sich Stalin im Gespräch den Sowjetbürgern zu, die sich in England befanden. Stalin erklärte, dass er sehr dankbar für jede Maßnahme wäre, die die russischen Truppen aus England heimschicken würde, dass die Sowjetregierung den britischen Gefangenen jede Hilfe leisten würde, sobald die Rote Armee die Gefangenenlager erreiche, dass er sich persönlich um die Angelegenheit kümmern werde. So war die ganze Frage der Gefangenen zu Edens großen Freude durch persönliche Zusicherung geklärt, die Stalin dem Außenminister gegeben hat.

Die Briten beschlossen, dass Repatrierung weiter gehen wird und schon am 16. Oktober teilte Eden Molotow mit, dass zu jener Zeit 11.000 russische Staatsbürger aus England repatriiert werden konnten, da die geeigneten Mittel für ihren Rücktransport zur Verfügung standen. Molotow erörterte die Stellungnahme der Sowjetregierung, dass die Frage der Rückkehr sowjetischer Bürger nach Russland nicht durch Befragung der einzelnen nach ihren diesbezüglichen Wünschen gelöst werden kann und dass die Sowjetregierung die Repatriierung aller ihrer Staatsangehörigen fordere.

Die Einstellung der Amerikaner

Die amerikanische Seite war sich eine ganze Weile nach der Invasion in der Normandie kaum dessen bewußt, dass es irgendwelche Probleme geben könnte. Zunächst sahen die Amerikaner ihre russischen Gefangenen nicht als Problem an. Sie trugen zumindest deutsche Uniformen und waren Mitglieder deutscher Einheiten. Daher behandelten die Vereinigten Staaten sie ebenso wie alle anderen deutschen Kriegsgefangenen. Alle Gefangenen in deutscher Uniform seien als unter die Regeln der Genfer Konferenz von 1929 fallend zu betrachten und nur diejenigen, die eindeutig wieder in die Rote Armee aufgenommen werden würden, sollten repatriiert werden. Unter den Russen gab es auch viele Zivilisten, die ein Problem darstellten. Doch die Frage der Betreuung, des Unterhalts und der Repatriierung waren ähnlich und wurden mit der Frage der Kriegsgefangenen verknüpft.

In der Zwischenzeit hatte Andei Gromyko, der sowjetische Botschafter in den USA, die sofortige Repatriierung aller russischen Kriegsgefangenen in amerikanischen Händen gefordert. Doch die Antwort auf die Frage stand im September noch aus. Der Außenminister Hull vertrat die Position, solange die Russen in amerikanischer Gefangenschaft bleiben, werden sie den Status deutscher Kriegsgefangenen beibehalten und jeder, der beanspruche, sowjetischer Staatsangehöriger zu sein, auf eigenen Antrag in die UdSSR repatriiert werden würde. Doch niemand sollte zur Rückkehr gezwungen werden und die Amerikaner legten ihren Mangel an Hilfsbereitschaft an den Tag. Als Folge trafen immer neue scharfe sowjetische Beschwerden ein.

Die amerikanischen Beamten standen vor einem Rätsel, als sie allmählich erkannten, dass sich die Briten schließlich für eine völlig andere Politik entschieden hatten. Trotzdem blieben die Vereinigten Staaten bei ihrer Auffassung, dass alle Kriegsgefangenen in deutscher Uniform, die Anspruch auf deutsche Staatsbürgerschaft stellten, diese zu gewährleisten. Jeder Russe, der nicht in die UdSSR zurückkehren wünschte, konnte erwarten, von den amerikanischen Behörden wie ein deutscher Kriegsgefangener behandelt zu werden.

Nur einige Dutzend der von den Amerikanern gefangenen Russen machten von dieser Rettungsaktion Gebrauch. Einige, die genügend politisches Bewußtsein hatten, ihre Zukunft klar vorauszusehen, verweigerten die Rückkehr. Sie hatten jedoch den Fehler begangen, ihre sowjetische Staatsbürgerschaft zuzugeben. Und es war nicht leicht, den Sowjets den Anspruch auf Personen zu versagen, die selbst zugegeben hatten, Staatsbürger der UdSSR zu sein. Die Vereinigten Staaten zögerten lange, ehe sie eine Entscheidung trafen.

Doch der Druck, den Sowjets in diesem Punkt Zugeständnisse zu machen, nahm ständig zu. General Eisenhower war im Kontakt zu der sowjetischen Militärmission und mußte Erklärungen den sowjetischen Militärkollegen darlegen. Darum schlug er seiner Regierung vor, eine Politik zu verfolgen, die den Bedingungen der sowjetischen Militärmission genüge. Dieses Gesuch wurde vom Foreign Office unterstützt, das im Fall einer Verweigerung "weitere Fluten schwer zu beantwortenden Beschwerden" der Sowjets befürchtete. Der Gemeinsame Stab verfaßte den Entwurf des Eisenhowerschen Gesuchs, doch das State Dapartament, Amerikas Außenministerium, erteilte seine Genehmigung nicht.

Am 23. September hatte der sowjetische Botschafter Gromyko an den Außenminister Hull geschrieben und die umgehende Auslieferung aller Sowjetbürger gefordert. Diese Forderung wurde vom amerikanischen Generalstab geprüft und am 2. November schickte der Stabschef Admiral Leahy den Entwurf einer Antwort an Außenminister Hull. Er riet keine andere Politik, als die britische gegenüber die sowjetischen Staatsbürger einzunehmen. Dieser Entwurf ging weitgehend in einen Brief ein, den der stellvertretende Außenminister Stettinius sechs Tage später an den sowjetischen Botschafter Gromyko gerichtet hat. Hier wurde erklärt:

Alle Personen, deren Anspruch auf sowjetische Staatsbürgerschaft von den amerikanischen Militärbehörden, in Zusammenarbeit mit ihrer Botschaft, bestätigt wird und deren Auslieferung unter Ihrer Aufsicht von Ihnen gefordert wird, werden Ihren Behörden überantwortet werden.

Zwei Monate nach der britischen Entscheidung hatten auch die Vereinigten Staaten ihre Absicht mitgeteilt, alle sowjetischen Staatsbürger an die Sowjets auszuliefern. Obwohl diese Entscheidung die Sache des State Departament war, kam sie ursprünglich von der Militärführung. In den Kriegszeiten hatte in den Vereinigten Staaten die Militärführung das letzte Wort. Die Militärbehörde wollte jedes unnötige Hindernis beseitigen, das eine Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Generalstab im Wege stand. Und schließlich wurden alle ehemaligen Sowjetbürger, unter ihnen auch die Russlanddeutschen, endgültig einer hohen Politik geopfert.

Die Konferenz von Jalta und ihre tragische Folgen

Am 24. Oktober 1944 wurde General Filipp Golikow als Leiter des Stabes für die Repatriierung der sowjetischen Staatsbürger ernannt. Dieser Stab, für den höchste militärische Ränge vorgesehen waren, wurde u. a. beauftragt, auch mit General Deane von der amerikanischen Militärmission in Moskau über den gegenseitigen Austausch der Kriegsgefangenen zu verhandeln. Beim ersten Treffen am 19. Januar 1945 wurde Deane von der sowjetischer Seite ein fertiger Vertragsentwurf vorgelegt und am folgenden Tag wurde auch der Britischen Botschaft ein ähnliches Dokument übermittelt. Den Vertretern der beiden westlichen Alliierten erschien das vorgeschlagene Abkommen auf den ersten Blick ganz vernünftig zu sein und nur weniger geringfügiger Erweiterungen zu bedürfen. Es sah die Zusammenziehung und Betreuung der befreiten "Staatsbürger" vor, sofortige Mitteilung an die jeweilige Regierung, den Zugang der mit der Repatriierung Beauftragten zu Internierungslagern und Orten, wo ihre jeweiligen Staatsbürger untergebracht waren und die baldmöglichste Repatriierung dieser Personen. Es schien die einfachste Lösung, den Entwurf im ganzen zu akzeptieren. General Deane schlug zusätzlich vor, die Sowjetbehörden für die Feststellung der Staatsangehörigkeit verantwortlich zu machen.

Das einzige britische Bestreben war, so schnell wie möglich ein Abkommen zu treffen, aber die Sowjets hatten sehr deutlich gemacht, dass die gesamte Frage ein gegenseitiges Problem sei und sie nicht bereit seien fortzufahren, ehe der Status ihrer Staatsbürger nicht zu ihrer Zufriedenheit geklärt sei. Darum hatte das Foreign Office vorgeschlagen, auf dem bevorstehenden Treffen der Alliierten Oberhäupter in Jalta diese umstrittene Frage zu diskutieren und zu lösen.

Ein Punkt, der den Sowjets besonders am Herzen lag, war ihr Beharren darauf, solch ein Abkommen auch auf sowjetische Staatsangehörige und britische Untertanen auszudehnen, die die Deutschen gefangengenommen und aus der Sowjetunion zwangsdeportiert hatten. Wenn die Zahl der zwangsdeportierten sowjetischen Zivilisten, die keine Kriegsgefangenen waren, auf Millionen geschätzt wurden, so gab es nur ganz wenig britische Untertanen, die unter diese Kategorie fielen. Aber das Foreign Office machte sich keine Sorgen über die aus der Sowjetunion stammenden Zivilisten und waren nicht bereit, sich wegen dieser Leute politische und militärische Schwierigkeiten mit den Sowjets zu schaffen. Sie wollten nur so schnell wie möglich und um einen angenehmen Preis ein Abkommen über eigene Kriegsgefangene erreichen. Das Kriegskabinett stimmte am 31. Januar 1945 den Vorschlägen von Eden zu und die britische Haltung war eindeutig festgestellt. Es war nun die Sache des Foreign Office, sie auszuführen.

Die Beamten des State Departament widerstrebten, einer Handlungsweise zuzustimmen, die sie für unehrenhaft und unmenschlich hielt. Edward R. Stettinius, der am 21. November die Nachfolge Cordell Hull als Außenminister antrat, telegrafierte am 3. Januar an Harriman nach Moskau, die Repatriierung der amerikanischen Kriegsgefangenen nicht mit der Rückkehr der sowjetischen Bürger zu verbinden. Anfang Januar waren dies Stettinius Vorbehalten. Wenn die Engländer schon seit geraumer Zeit den Sowjets alle gewünschten Zugeständnisse gemacht hatten, so hatten die Amerikaner offenbar die Absicht in Jalta, sich an die Genfer Konferenz und an ihre Auffassung des Völkerrechtes und Menschlichkeit zu halten.

Inzwischen wurde bekannt, dass die Sowjets zur Erörterung dieses Problems in Jalta einen Fachmann bereit stellen würden. Es war notwendig, die britische und amerikanische Politik in dieser Frage vorher zu koordinieren. Die amerikanischen Vorschläge enthielten entscheidende Abweichungen von dem britisch- sowjetischen Entwurf. In der amerikanischen Präambel war festgelegt, der Repatriierung unterlagen Personen, die befreit worden waren und selbst Anspruch auf amerikanische oder sowjetische Staatsbürgerschaft erheben. Solche Personen werden in Folgendem als Antragsteller auf Staatsbürgerschaft der USA oder der UdSSR bezeichnet.

Ehe sie auf die Krim folgten, traten die britischen und amerikanischen Delegationen zusammen, um festzustellen, inwieweit sie sich über alle mutmaßlichen Gesprächsthemen der Konferenz im voraus einigen könnten. Noch am 1. Februar teilte der stellvertretende Außenminister C. Grew in einer Note der Sowjetbotschaft mit, dass keine Gefangenen sowjetischen Ursprungs gegen ihren Willen ausgeliefert werden können und am gleichen Tag war auch in Malta die Unterredung von Eden und Stettinius in der Repatriierungsfrage "kurz und ergebnislos". Bald darauf jedoch begannen Diskussionen zwischen den britischen und amerikanischen Fachleuten und die amerikanischen Beamten begannen offenbar, sich vom britischen Gesichtspunkt beeinflussen zu lassen. Auch Stettinius und seine Ratgeber kamen sich im Standpunkt zum Schluß, "und wenn uns an einer schnellen Einigung gelegen ist, dann sollte man sich an die Hauptpunkte halten und das Überflüssige weglassen". Außerdem hatten die Botschafter von Eisenhower berichtet, dass fünf Prozent aller in Gewahrsam genommenen Personen russische Staatsbürger sind und dass ein weiterer Zulauf an russischen Staatsbürgern zu erwarten sei und eine rasche Repatriierung dieser Personen die einzige Lösung sei.

Eden Schrieb an Molotow, um den russischen Entwurf prinzipiell anzunehmen und zugleich seinem ernstlichen Wunsch Ausdruck zu geben, das Abkommen vor Ende der Konferenz zu ratifizieren. Stettinius und seine Berater waren zu dieser Zeit für den Standpunkt des Foriegn Office in jeder Hinsicht auch schon gewonnen. Aber aus Washington wurde gefordert, die Sowjetbürger, die keine Kriegsgefangenen sind, im Abkommen zu berücksichtigen. Stettinius antwortete, dass es unklug wäre, die Fragen des Schutzes der Sowjetbürger in einem Abkommen unterzubringen, dessen Hauptaufgabe es ist, den Austausch der Kriegsgefangenen zu regeln. Der gemeinsame Stab der Alliierten hatte den Textentwurf, der keine Einwände des Schutzes der Genfer Konferenz für Kriegsgefangene und Menschenrechte für Zivilpersonen enthielt, gebilligt.

Das Abkommen brauchte nur noch unterzeichnet werden. Eden drang wiederum Churchill, die Angelegenheit mit Stalin persönlich zu besprechen. Er gab dem Premierminister ein kurzes Resümee aller Punkte, die dabei zur Sprache kommen konnten. Die Gelegenheit ergab sich am 10. Februar, als Stalin und Molotow Churchill und Eden empfingen. Ohne sich gegenseitig ihre Gründe zu offenbaren, kamen Churchill und Stalin überein, den Wortlauf des Abkommens, nicht zu veröffentlichen. (Die Briten wollten diese Leute so schnell wie möglich los werden, die Sowjets im Gegenteil brauchten im völlig zerstörtem Land große Arbeitskräfte und hatten deshalb sogar aus Ostdeutschland, aus Ungarn, Rumänien und Jugoslawien mehrere Hunderttausende von einheimischen Deutschen in die UdSSR verschleppt, um sie dort zwangsweise in die Arbeit einzusetzen). Am nächsten Tag wurden zwei geheime Abkommen unterzeichnet: zwischen der Sowjetunion und Großbritannien - von Eden und Molotow; zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika - von Generalleutnant Gryslov und General Deane. Öffentlich wurde nur erklärt, dass ein Abkommen über den Austausch von Kriegsgefangenen unterzeichnet wurde . Sogar als viele verzweifelte Sowjetbürger in englischen Lagern Selbstmord verübten, forderte das Foreign Office immer noch, "alles zu tun, was möglich ist, um Öffentlichkeit zu vermeiden". Erst nach Ablauf eines Jahres, als die Repatriierung schon fast abgeschlossen war, wurde der Wortlauf des Abkommens veröffentlicht. Jede öffentliche Diskussion und unerwünschte Kritik des Jalta-Abkommens war auf eine lange Zeit durch den im Artikel 2 vorhandenen Satz "Feindliche, gegen die vertragschießenden Parteien oder eine der Vereinigten Nationen gerichtete Propaganda wird nicht gestattet" ausgeschlossen.

Im Jalta-Abkommen war wenig die Rede über Kriegsgefangene, hauptsächlich wurde dagegen über "befreite Bürger" gehandelt und im Artikel 7 wurde vereinbart: "Die vertragschließenden Parteien werden ... alle anwendbaren Mittel gebrauchen, um die Evakuierung dieser befreiten Bürger in rückwärtige Gebiete sicherzustellen. Sie verpflichten sich ebenfalls, alle anwendbaren Mittel zu gebrauchen, um befreite Bürger an die vereinbarten Orte zu bringen, wo sie den ... sowjetischen ... Behörden übergeben werden können". Die Frage der Repatriierung von sowjetischen Staatsbürgern war für die Sowjetregierung so wichtig, dass sie von Stalin persönlich in die Tagesordnung der Potsdamer Konferenz einbezogen wurde und in den Sitzungen am 22. und am 24. Juni 1945 auf höchster Ebene diskutiert wurde. Schließlich hat im Mai 1945 der damals Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der amerikanischen Streitkräfte General Marshall in seiner geheimen Verordnung an das Militär eindeutig bestätigt: "Sowjetische verschleppte Personen werden nach ihrer Identifizierung durch die sowjetische Repatriierungskommissionen ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche repatriiert" . Wahrscheinlich war ab diesen Zeitpunkt die Verwaltung der amerikanischen Besatzungszone endgültig verpflichtet, sich in der Repatriierungsfrage an diese geheime Verordnung zu halten, und dabei hat sich das amerikanische Militär besonders fleißig und erbarmungslos erwiesen.

Die Sowjetregierung war überwiegend daran interessiert, die Millionen von russischen, weißrussischen, ukrainischen in Deutschland eingesetzten Zwangsarbeiter, die Überläufer und Kollaborateure usw. in ihren Machtbereich zurückzuführen. Obwohl die Russlanddeutschen nur einen geringen Teil aller sowjetischen "befreiten Bürger" betrugen, kam auch ihnen aus wirtschaftlichen und innenpolitischen Gründen erhebliches Gewicht zu. Etwa 200.000 der nach Westen aus ihrer Heimat vertriebenen und geflohenen Russlanddeutschen waren am Kriegsende in den "eingegliederten Ostgebieten" vom Vormarsch der sowjetischen Truppen überrollt worden und wurden aus der sowjetischen Besatzungszone bedingungslos "repatriiert", dabei mußten die nach Sommer 1945 repatriierten erwachsenen Personen durch ihre Unterschrift in einem von der sowjetischen Repatriierungskommission vorbereiteten Fragebogen erklären, dass sie freiwillig in die Sowjetunion zurückkehren wünschen. Einige Russlanddeutsche waren gezwungen, diese Fragebogen nachträglich in den Verschleppungsorten zu unterzeichnen.

Etwa 150.000 Deutsche aus der Sowjetunion befanden sich am Kriegsende in den drei westlichen Besatzungszonen . Aber durch den Artikel 2 des Jalta- Abkommens wurde den Sowjets das Recht erteilt, die Russlanddeutschen auch hier aufzusuchen und sie als "befreite Bürger" zurück in die Sowjetunion zu "repatriieren". Die meisten russlanddeutschen Familien hatten eine gute Vorstellung, was sie in der Sowjetunion erwarten können und, um der Zwangsrepatriierung in die Sowjetunion zu entgehen, versuchten sie sich und ihre Identität zu verbergen. Aber nur nahezu der Hälfte (bei großzügiger Schätzung) von den Russlanddeutschen in den westlichen Besatzungszonen konnten der Repatriierung entgehen . Von 60.000 bis 90.000 Russlanddeutschen wurden gegen ihren Willen von den Westalliierten an die sowjetischen Repatriierungskommandos überstellt und anschließend aus der sowjetischen Besatzungszone als "befreite Bürger" kaltblütig, oft unter Anwendung von massiver Waffengewalt, in die Sowjetunion "repatriiert". Die ehemaligen Sowjetbürger, unter ihnen auch die Russlanddeutschen, wurden einfach als "Zahlungsmittel" für die Auslieferung der von den Sowjets befreiten alliierten Kriegsgefangenen in Kauf genommen. Sie wurden - wie Geldbeträge von einem Konto aufs andere - von Staat zu Staat "transportiert". Für jeden von den Sowjets überstellten westlichen Kriegsgefangenen, wurden dagegen von den westlichen Alliierten ca. 18 ehemalige sowjetische "befreite Bürger" ausgeliefert.

Der tragische Weg der Russlanddeutschen zurück in die UdSSR war schon insofern vorgezeichnet, weil in der damaligen Zeit keine von den westlichen Besatzungsmächten sich um diese Menschen irgendwelche rechtliche Gedanken machen wollte, weil die deutschen Behörden, die sich seit Jahren im Dritten Reich für die Russlanddeutschen verantwortlich waren, nach der Kriegsniederlage Deutschlands nicht mehr existierten und weil dazu die in der Frage der Russlanddeutschen führenden Fachleute Deutschlands verhaftet oder interniert worden waren. Auch im westlichen Ausland besaßen die Russlanddeutschen keine Gruppen machtvoller Fürsprecher , weil man sie dort nicht als ein großes Opfer der beiden totalitären Systeme ansehen wollte, sonder ungerecht an der Kollaboration mit den Nazis verdächtigt hatte . Durch das Jalta- Abkommen wurde die überwiegende Mehrheit der Russlanddeutschen unter unmenschlichen Bedingungen in Güter- und Viehwagen "repatriiert". Man brachte sie nicht, wie vielfach angekündigt, in die Ukraine. Im europäischen Teil der UdSSR wurden 218.000 verschleppte Ostdeutsche in die sowjetische Zwangsarbeit eingesetzt . Die Russlanddeutschen kamen zum großen Teil in der nördlichen Region Russlands, hinter dem Ural in Sibirien, im Kasachstan und in den Republiken Mittelasien zum Arbeitseinsatz. Die Repatriierten hat man offiziell als "Handlanger des faschistischen Imperialismus" eingestuft und sie erlitten das gleiche Schicksal wie die Deportierten bei Kriegsbeginn. Alle wurden in Sondersiedlungen interniert, die dem NKWD unterstanden.

Wenn die Russlanddeutschen bei ihrer Flucht und Vertreibung aus den ursprünglichen Wohngebieten in der Sowjetunion in Richtung Deutschland noch irgendwelche Lebensmittel, Bekleidung usw. mitnehmen konnten, so hatten sie am Kriegsende auf den Vertreibungswegen ihr ganzes Hab und Gut schon völlig verloren. Deshalb war die Repartiierung für viele Russlanddeutsche ein Weg in den sicheren Tod. Sie erlagen den seelischen und physischen Strapazen, die man ihnen zumutete, der besonderen Behandlung, die ihnen von der sowjetischen Seite zuteil wurde. Am schweren Schicksal dieser Leute tragen auch die Briten und die Amerikaner eine große Schuld. Nach Schätzungen lag die Verlustquoten bei den Repatriierungstransporten zwischen 15 und 30 % und von den Sowjets wurden in den wichtigsten Transportwegen (z. B. im Grenzort Grodno) aus alleinstehenden Männern besondere Kommandos geschaffen, deren Aufgabe war, die Leichen aus den eingetroffenen Transporten in Massengräbern unter der Bewachung des NKWD zu beerdigen . Andere Augenzeugen berichten, dass im Winter 1945/46 östlich von Moskau die Leichen einfach von den NKWD- Mannschaften aus den Viehwaggons, in denen die Russlanddeutschen "repatriiert" wurden, in den Schnee rausgeschmissen wurden. Die Gesamtzahl der menschlichen Verlusten erreichte bei den Russlanddeutschen mindestens 75.000 Personen .

Sehr hart waren von der "Zwangsrepatriierung" die russlanddeutschen Männer betroffen. Seit Oktober 1941 war laut Befehl Nr. 3 des Einsatzstabes Litzmannstadt die "Einberufung von Umsiedlern zur Waffen-SS durchgeführt worden". Viele jungen Männer wurden ab Anfang 1943 noch in der Ukraine zur Wehrmacht oder Waffen-SS einberufen. Spätestens ab Sommer 1944 wurden alle in den Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle eingetroffenen russlanddeutschen Männer zur Militär eingezogen. Ein großer Teil von ihnen wurde ohne nennenswerte militärische Ausbildung und Vorbereitung an der italienischen und später an der belgischen Front eingesetzt. Wenn auch ein großer Anteil von ihnen gefallen war, befanden sich am Kriegsende noch mindestens 20.000 Russlanddeutsche in den deutschen Streitkräften . Die Meisten von ihnen gerieten in englische bzw. amerikanische Gefangenschaft, wurden aber durch das Jalta-Abkommen gnadenlos an die sowjetische Seite ausgeliefert. Einige wurden von den Sowjets an Ort und Stelle liquidiert, die anderen wurden unverzüglich und zwangsweise an die Arbeitslager jenseits des Urals "repatriiert". In den ersten Nachkriegsjahren wurden fast alle von der NKWD als "Verräter des Vaterlandes" verhaftet und gemäß 

§ 58 des sowjetischen Strafgesetzbuches zum Tode oder bis zu 25 Jahre Haft verurteilt . Viele von ihnen haben die Freiheit, die ihnen durch politische Bemühungen des Bundeskanzlers Konrad Adenauer von der Sowjetregierung erteilt wurde, und die nachträgliche Rehabilitation nicht erlebt.

Anfang 1946 befanden sich in den Sondersiedlungen 203.796 "repatriierte" Deutsche . Das Schicksal der Sondersiedler war sehr hart. Da in den meisten deutschen Familien die Männer fehlten, mußten die Frauen und die Halbwüchsigen in den Sondersiedlungen die schwere Last der Versorgung ihrer Familien tragen. Allein die Art der zu leistenden Arbeit bedeutete ihre Überforderung. In der Regel waren es körperlich schwere Arbeiten, die sie zu verrichten hatten. Den repatriierten Deutschen war es nicht gestattet, andere als körperliche Arbeit aufzunehmen. Die Not der Repatriierten war in den ersten Nachkriegsjahren besonders gewaltig. Die Brotrationen von 200-300 g für erwachsene Arbeiter und 200 g für Kinder waren oft die einzige Nahrung bei den Sondersiedlern. Darum waren viele von ihnen, besonders ältere Menschen und Kinder, in den ersten Nachkriegsjahren vor Hunger aufgeschwollen und gestorben. Unter Umständen der Unterernährung breiteten sich verschiedene schwere Krankheiten aus. Es fehlte an Ärzten und Medikamenten, darum lag die Sterblichkeit bei den Repatriierten sehr hoch.

Da die Deutschen in der Sowjetunion viele Jahre nach dem Kriegsende keinen Zugang zu gut bezahlten Tätigkeiten hatten, hatte sich ihre außergewöhnlich schwere Lage auf eine lange Zeit verzögert. Frauen und Kinder als Holzfällern in den Wäldern des Nordens, als Arbeiterinnen in den Bergwerken im Ural, in Sibirien oder Kasachstan, hinter dem Polarkreis, oft bittere Kälte, grausamer Hunger und größte Wohnungsnot, das war das Schicksal der Russlanddeutschen noch viele Jahre, nachdem der Krieg mit den Deutschen in Mitteleuropa endgültig vorüber war. Dazu waren sie viele Jahre in der UdSSR als aus Deutschland umgesiedelte Faschisten bezeichnet und als die schlimmsten Verräter und die größten Feinde des gesamten Sowjetvolkes aus dem Kreise der übrigen Bevölkerung ausgegrenzt.

In den Sondersiedlungen erreichten die Leiden der aus ihrer Heimat gerissenen und dann so vielfach hin- und hergetriebenen Russlanddeutschen ihren letzten Tiefpunkt. Hier wurde von dem NKWD für jede Familie und für jeden Russlanddeutschen über 16 Jahr eine Akte angelegt, wo außer den persönlichen Daten auch alle eingegangenen Agentenanzeigen, kritische und antisowjetsche Äußerungen, vermutliche terroristische Vorhaben oder mögliche Sabotage, unerlaubte Entfernung aus der Sondersiedlung, Angaben über alle Familienangehörigen usw. gesammelt wurden. In den Akten der Repatriierten wurden auch häufig folgende Begriffe eingetragen: Spionage, Vaterlandsverrat, Handlanger des Feindes, Mitarbeiter des Gestapo, Dienst in der deutschen Wehrmacht oder in den SS-Waffen, Dienst in den Besetzten Gebieten als Bürgermeister, als Polizist, als Mitglied des Selbstschutzes oder als anderer deutscher Handlanger. Im Laufe der Zeit wurden viele von diesen Akten in Untersuchungsakten nach § 58 Punkt 10 des sowjetischen Strafgesetzbuches umgeändert.

Die Russlanddeutschen waren erniedrigt und rechtlos, sie durften den jeweiligen Wohnort ohne Genehmigung der "Kommandantur" nicht verlassen. Die Kommandanten hatten Rechte wie die Gutsbesitzer in der Zeit der Leibeigenschaft. Eine unerlaubte Entfernung aus der Sondersiedlung wurde als Flucht betrachtet und wurde mit 20 Jahren Zwangsarbeit bestraft. Die seit Deportationsbeginn im Jahre 1941 bestandene Rechtsstellung der Sondersiedler wurde 1945 durch die Verordnung Nr. 34-14s und die Verordnung Nr. 35 des Volkskommisariats der UdSSR vom 8.01.1945 besiegelt, wodurch die Arbeitspflicht für alle erwerbsfähigen Deutschen und der Entzug ihrer Freizügigkeit gesetzlich besiegelt und auf viele Jahre nach dem Kriegsende verlängert wurde. Durch Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 26.11.1948 wurde diese Rechtsstellung auf ewige Zeiten verschrieben.

Obwohl die Russlanddeutschen die NSDAP an den Reichstagswahlen 1930-1933 nicht gewählt hatten, an der Volksbefragung am 29.3.1936 nicht Teil genommen hatten und am Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges nicht schuldig waren, mußten sie nach dem Kriegsende noch in einem Zeitraum von ca. 50 Jahren die Verantwortung für Hitlers Überfall auf die Sowjetunion tragen. Das Jalta- Abkommen über den Austausch von Kriegsgefangenen enthielt keine Verfügung über Bürger der UdSSR, die sich der Repatriierung widersetzen. Der britische Außenminister Eden, General Deane und die Militärführung von der amerikanischen Seite waren weitgehend für den Text verantwortlich. Die Beteiligung des State Departament wurde durch Roosvelts Konzeption der "persönlichen Diplomatie" mehr oder weniger ausgeschaltet. Die von den westlichen Politikern als gesamte Gruppe ehemaliger sowjetischer Staatsbürger bezeichneten Menschen wurden mit Leichtigkeit geopfert, um bei den Sowjets "große politische" Ziele zu erreichen.

Zum Schluß sollten noch diejenigen rechtlichen Fragen genannt werden, gegen die das Jalta- Abkommen und die westlichen Alliierten durch ihre Zustimmung der Zwangsrepatriierung von Sowjetbürgern verstoßen haben.

1. Vertreibung jeder Art wurde nach dem Kriegsende im Gerichtsverfahren gegen die Kriegsverbrecher in Nürnberg verurteilt, aber die Alliierten hatten mit den Russlanddeutschen das gleiche getan. Von den Alliierten wurde nicht nur die Verschleppung dieser Leute genehmigt, sonder sie hatten selbst alles mögliche getan, um diese Verschleppung zu unterstützen und zu verwirklichen.

2. Menschenhandel, Sklaverei und Sklavenhandel in aller Form war seit Jahrzehnten international streng verboten. Aber die Alliierten hatten die ehemaligen sowjetischen Staatsbürger als Zahlungsmittel benutzt. Sie wurden an die Sowjets ausgeliefert, dafür wurden ihnen als Belohnung die von der Sowjetarmee befreiten westlichen Kriegsgefangenen übermittelt.

3. Die Russlanddeutschen, die die Uniform der deutschen Streitkräfte trugen, waren Mitglieder deutscher Einheiten. Daher sollten die in deutscher Uniform von den Engländern bzw. von den Amerikanern in Gefangenschaft genommenen Russlanddeutschen den Schutz der Uniform haben und sollten ebenso wie alle anderen deutschen Kriegsgefangenen als unter die Regeln der Genfer Konferenz von 1929 fallenden behandelt werden. Stattdessen wurden sie zwangsweise und erbarmungslos an die Sowjets ausgeliefert, ungeachtet welches Schicksal diese Leute in der Sowjetunion erwartet.

4. Nach den allgemeinen Menschenrechten hat: jeder Mensch das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren; jeder Mensch, ohne irgendeine Unterscheidung hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen; jeder Mensch hat Anspruch auf Freiheiten; jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.

Alle diese Rechte der Russlanddeutschen haben das Jalta-Abkommen und die westlichen Alliierten mißachtet.

5. Die USA gewährte traditionell Flüchtlingen und Überläufern das Recht auf Asyl. Diese Leute durften nicht in einen Staat abgeschoben werden, wo ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht werden. Im Falle der Russlanddeutschen hatten die USA aus politischen Gründen diese eigene Regeln völlig ignoriert.

6. Jeder Mensch hat Anspruch auf Rechte und Freiheiten, ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Sprache, Religion, nationaler Herkunft. Den Russlanddeutschen wurde ihre Muttersprache geraubt nur deswegen, weil sie Deutsche waren. Ihre Religion war verboten, weil das nicht die orthodoxe Religion war. Ihnen wurde die Freiheit entzogen, weil sie Deutsche waren. Die Alliierten hatten sich darüber keine große Sorgen gemacht.

Viele von diesen Gedanken wurden schon in 1,5 Monate nach dem Kriegsende von der UNO durch ihre Charta vom 26. Juni 1945 international anerkannt. Trotzdem hatten die westlichen Alliierten gerade in diesem Zeitraum die überwiegende Mehrheit der Russlanddeutschen aus den von ihnen besetzten Gebieten Deutschlands an die sowjetische Besatzungsverwaltung zwangsweise ausgeliefert. Anschließend wurden sie aus Deutschland nach Sibirien und Mittelasien verschleppt, in Sondersiedlungen interniert und ihnen wurden alle bürgerlichen und menschlichen Rechte wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit auf Jahrzehnte nach dem Kriegsende auf kriminelle Weise geraubt.

Außerdem ist unklar, aus welchen politischen Gründen, das Jalta- Abkommen, dass hauptsächlich die "befreiten Bürger" betrifft, öffentlich als "Abkommen über den Austausch von Kriegsgefangenen" dargestellt worden war und ob dies eine kriminelle Täuschung der Öffentlichkeit war.

Quelle

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