Interview mit Bernd Ingmar Gutberlet

WirtschaftsWoche: Interview mit Bernd Ingmar Gutberlet zu seinem Werk „Heimsuchung, Seuchen und Pandemien: Vom Schrecken zum Fortschritt“

...Was können wir Corona-Geplagten aus der Historie lernen?

B. I. Gutberlet: Ich wollte zeigen, dass es uns heute bei allem Schrecken und Horror, den das Coronavirus verbreitet, besser geht als früheren Generationen mit Pest oder Cholera, Tuberkulose oder Spanischer Grippe… Impfpflicht, die gab es in Deutschland auch schon mal. Der Reichstag unter Bismarck beschloss 1874 die Pflicht zur Pockenimpfung. Was hat das Gesetz gebracht?

In den wenigen Jahren zuvor starben in Deutschland etwa 150.000 Menschen an den Pocken. Nach der Einführung der Impfpflicht wurde Deutschland eine weitgehend pockenfreie Zone mit einer Todesrate von unter 0,005 Prozent. Und ein Vorbild in Europa. Frankreich erließ erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Impfpflicht; unter anderem war Napoleon ein Gegner des Impfzwangs. In Deutschland stieg die Impfquote nach 1874 von etwa zwei Drittel auf zeitweise neunzig Prozent.

Gab es einen konkreten Auslöser für die Einführung der Impfpflicht?

Die Reichsgründung 1871 ermöglichte überhaupt erst eine nationale Impfpflicht. Zuvor existierten in einzelnen deutschen Staaten bereits Impfpflichten: zuerst 1805 im Fürstentum Hohenlohe-Langenburg; 1807 in den Flächenländern Bayern und Hessen-Darmstadt. In Preußen und im Königreich Westphalen gab es indirekte Impfpflichten – ohne Pockenimpfung kam niemand an eine Schule oder Universität. Oder eine für bestimmte Gruppen – Soldaten und Waisenkinder mussten geimpft werden. So ganz neu war das Thema also nicht. Der konkrete Auslöser war dann der Deutsch-Französische Krieg 1870/71. Unter den deutschen Soldaten, die weitgehend geimpft waren, lag die Zahl der Pockentoten relativ niedrig – im Gegensatz zur französischen Armee, die schlechter geschützt war. Durch die französischen Kriegsgefangenen verbreiteten sich die Pocken dann allerdings rasant in der weniger gut geschützten deutschen Zivilbevölkerung. Das führte dazu, dass Reichskanzler Otto von Bismarck im Februar 1874 das Impfgesetz im Reichstag einbrachte.

Was passierte mit denen, die sich verweigerten?

Der Staat verhängte Bußgelder, die aber in den jeweiligen Ländern unterschiedlich hoch ausfielen. Impfgegner mussten mit Gefängnisstrafen rechnen.

Wer hat denn die Einhaltung überwacht?

Im Deutschen Reich staatliche Behörden und Polizei. In der Frühzeit der Pockenimpfung Anfang des 19. Jahrhunderts waren es vor allem Lehrer und Pfarrer, die damals als Autoritätspersonen galten und die Impfung propagierten. Die sollten in ihren Gemeinden darauf achten, wer geimpft ist und wer nicht – und sprachen die Leute auch darauf an. Oft haben die Lehrer und Pfarrer die Lanzette dann auch selbst angesetzt. Die Preußen ließen die Pfarrer von der Kanzel predigen, dass die Impfung ein Geschenk Gottes sei.

Woher kam der Impfstoff? Wer war das Biontech des 19. Jahrhunderts?

Es gab ja noch keine Pharmaindustrie. Der Impfstoff wurde aus den Lymphen von Kühen gewonnen, die von den für Menschen ungefährlichen Kuhpocken infiziert waren. In Berlin gab es den Arzt Johann Immanuel Bremer, der aufs Land hinausfuhr, um von infizierten Kühen den Impfstoff zu gewinnen. Das staatliche Preußische Impfinstitut bereitete den Impfstoff dann auf, führte Statistiken und Dokumentationen, ließ Plakate und Informationsschriften drucken und verlieh Impfurkunden und -medaillen.

Aus WirtschaftsWoche

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