Die Trudarmee hat sich hauptsächlich in mein Gedächtnis durch ständige Verletzung der Menschenwürde, schreiende Ungerechtigkeit uns, unschuldigen Opfern gegenüber, eingeprägt. Sollte es mir überlassen gewesen sein zu wählen, die Front oder die Trudarmee, hätte ich mich für die Front entschieden. Dort hat man meines Erachtens die Menschen als Menschen geschätzt. Die meisten von ihnen waren ihres Leides und ihres Todes bewußt. Aber wir, Trudarmisten, fühlten uns als erbärmliche Käferchen, die jeder Lageraufseher im Lagerstaub zermalmen konnte...
Notitzen eines Trudarmisten
Die Seele widerhallt den Schmerz...
Ende 1953 bin ich aus der Trudarmee (Lager für Zwangsarbeit) zurückgekommen. Das heißt, dass ich doppelt so lange dort zubringen mußte, als die meisten meiner Kameraden im Unglück. Außer denen natürlich, die dort auf ewig geblieben sind. Noch vor einigen Jahren war es unmöglich sich vorzustellen, dass die am Leben Gebliebenen die Möglichkeit haben werden sich öffentlich an die grausamen Jahre zu erinnern. Auch ich, der dank dem Trudarmistenschicksal in solche Ortschaften verschlagen wurde, selbst deren Namen streng geheim waren, konnte nicht auf solche Gedanken kommen.
Als ich Ende 1989 in der „Neues Leben“ den Artikel von Ritschard Blank „Sollen unsere Schmerzen in Vergessenheit geraten?!“ gelesen hatte, habe ich Ruhe und Schlaf verloren. Die Epopöe der Trudarmee auf dem Tscheljabinsker Boden stand erneut wie in Wirklichkeit vor mir. Kurz danach sah ich eine Fernsehsendung, in der man Tscheljabinsk-40 einer amerikanischen Delegation vorstellte. Zu meiner Trudarmistenzeit war das ein streng geheimer Ort, wo wir eine ebenso geheime Stadt bauten, was mir 7 lange Jahre meines Lebens gekostet hat. Und ich beschloß darüber schriftlich zu berichten, obwohl ich mit der Feder nicht so gut umgehen kann, wie mit dem Arbeitswerkzeug.
Die Trudarmee hat sich hauptsächlich in mein Gedächtnis durch ständige Verletzung der Menschenwürde, schreiende Ungerechtigkeit uns, unschuldigen Opfern gegenüber, eingeprägt. Sollte es mir überlassen gewesen sein zu wählen, die Front oder die Trudarmee, hätte ich mich für die Front entschieden. Dort hat man meines Erachtens die Menschen als Menschen geschätzt. Die meisten von ihnen waren ihres Leides und ihres Todes bewußt. Aber wir, Trudarmisten, fühlten uns als erbärmliche Käferchen, die jeder Lageraufseher in dem Lagerstaub zermalmen konnte.
...Durch Vertrauen angelockt
Und wie der Leser es merken wird, ist nur der 2. Teil meiner Trudarmeebiographie mit den anderen meinesgleichen unähnlich. Jedoch ihr Anfang und die Vorgeschichte sind aber völlig gleich. 1941 bin ich 18 Jahre alt geworden. Ich wohnte im Dorf Stahl (Swonarjowka) Krasnojarsker Kanton in der ASSRdWD (Wolgadeutsche Republik), lernte in dem Gemüsebautechnikum. (Im übrigen muß hinzugefügt werden, dass sich 7 Kilometer von uns entfernt das Dorf Rosenheim befand, das in der skandalösen Publikation von W. Rudin als Ort der mythischen feindlichen Tätigkeit der Wolgadeutschen beschrieben wurde. Ich kann es bestätigen, dass das, was dieser Herr schreibt, eine bodenlose Lüge ist. Ich habe persönlich bei der Aussiedlung geholfen, den deutschen Familien aus diesem Dorf rauszufahren. Wir tranken Wasser aus den Dorfbrunnen und keiner von uns hat sich, natürlich, vergiftet.) Nach der Deportation aus der Wolgadeutschen Republik kam ich in das Dorf Kasanka, das zu jener Zeit zu Nordkasachstan gehörte. Anfang 1942 hat man mich und meine gleichaltrigen Deutschen in das Rayonszentrum gerufen, und man hat uns gesagt, dass wir an die Front geschickt werden. Wir haben das auch geglaubt, weil die gleichaltrigen Russen aus unserer Gegend schon längst an der Front waren. Wir aber hatten keine Ahnung, dass alle Russlanddeutschen, die in der Roten Armee gedient hatten, schon Anfang 1941 aus der Armee vertrieben wurden. Wir freuten uns, dass wir, Deutsche, endlich behandelt wurden, wie gleichberechtigte Bürger! Die Russen, Menschen anderer Nationalitäten, die ihre Verwandten in den Krieg verabschiedet hatten, schauten uns jetzt mit anderen Augen an, freundlicher. Sogar das Herz des grimmigen Kolchosvorsitzenden ist weicher geworden. Er hat mich beauftragt ein Paar junge Pferde für das Militärkommissariat mitzunehmen.
Es fing ein unaufhörliches Schneegestöber an, so dass man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Der Vorsitzende hat mir ein altes Pferd eingespannt, weil es sich vom richtigen Weg nicht verirrt. Die jungen Pferde haben wir hinten angebunden. Das Rayonszentrum lag in 40 km Entfernung. Vorher bin ich dort noch nie gewesen, aber ich bewältigte den unbekannten, schweren Weg spielend, wie auf Flügeln. Die Pferde hat man mir im Kommissariat abgenommen. Und wir, Deutschen, sind ungebraucht geblieben. Uns hat man dort eine Woche lang zu für uns unbekannten Zwecken bleiben lassen, danach durften wir zurück. Nach der Rückkehr blieb der Umgang mit uns, die das Vertrauen der Behörden nicht verdient haben, beim Alten. Aber ich mußte mich nicht so lange über die Stimmungswandlung grämen – schon bald mobilisierte man mich in die Trudarmee.
Statt Front - „Arbeitskolonnen“
Laut Verordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 10. Januar 1942 sind beinahe ein Drittel der Deutschen in die „Arbeitskolonnen“ des NKWD (ofizielle Bezeichnung der Trudarmee) bis Kriegsende zum Bau des Bakalsker Hüttenwerks und der Bogoslowsker Aluminiumfabrik mobilisiert worden. Ich konnte gar nicht ahnen, dass das Hüttenwerk, dessen Bau bei Tscheljabinsk von der Zwangsarbeit meiner unglücklichen Landsleute geplant war, und auch ich am Bau dieses größten Industrieobjekts beteiligt werde. Umso mehr, es war schwierig sich vorzustellen, dass bei diesem Bau eine Unmenge Russlanddeutscher umkommen werden, und den Kollaborateurschandfleck mit sich ins Grab mitnehmen müssen. Und das Hüttenwerk, das auf Menschenknochen errichtet wurde, lieferte schon ein Jahr und vier Monate später Metall, aus dem die legendären Panzer T-34 gebaut wurden.
Am 9. Februar empfing uns Tscheljabinsk mit Wachhundegebell und unflätigem Schimpfen der Wachsoldaten, die unsere Kolonne dicht umringten. Ich geriet in die Bauabteilung Nr. 15. Es stand bevor, uns im Wald, auf einem vollkommen leeren Fleck zu plazieren. Bei Schneesturm und klirrender Kälte bauten wir Planleinenzelte auf, in denen wir uns bis Frühjahr durchquälten. Die einzige Wasserquelle war geschmolzener Schnee. Erst im Frühahr bot man uns die Möglichkeit uns in der Banja zu waschen. Die 15 Kilometer bis zur Badestube mußten wir nachts zu Fuß zurücklegen und erst am frühen Morgen waren wir zurück. Anfangs hoben wir Baugruben aus und bauten Fundamente für die Walzguterzeugung. Später hat man mich in die Abteilung 6, Steinbruch, versetzt. Hier war es so unerträglich schwer, dass manche Trudarmisten verrückt geworden sind. Ganz zu schweigen von der katastrophal hohen Sterberate. Schließlich landete ich in der Abteilung 1, wo ich bis zum Schluß meines Aufenthalts in Tscheljabinsk blieb. Wir bauten zweistöckige Wohnhäuser in der sogenannten sozialistischen Stadt (Hüttenwerksiedlung). Hier habe ich als Maler angefangen. Dieses Handwerk, das ich mir in unmenschlich schweren Arbeitsbedingungen aneignen musste, so paradox es erscheinen mag, ist zum Lieblingswerk geworden. Unabhängig von der Situation war ich immer froh den Menschen Freude zu machen. Wenn ihnen deine Arbeit gefällt, ist das für dich ein Lebensansporn.
Die Ausnahmen bestätigen die Regel...
Nach und nach hat es sich bemerkbar gemacht, daß sich die Obrigkeit eine eigenartige Sorge um uns machte. Sie war auf einmal an gesunder, starker Arbeitskraft interessiert. Leider war diese Sorge für uns mit neuen Strapazen verbunden. Als wir von der Arbeit am Abend zurückkehrten, strömten alle sofort in den Speiseraum (Kantine). Hier gab man uns vorerst je 20gr. flüssige Hefe und nötigte uns einen bitteren gelben Aufguß aus Kiefernadeln zu trinken. Die Vitamine sollten uns Energie und Gesundheit liefern. Erst danach hat jeder seine ihm zustehende Portion Suppe gekriegt. Es ist mir in Erinnerung, wie es an einem frostigen Wintertag, die Trudarmisten, die das eklige Gebräu nicht verkraften konnten, es auf die Kantinentreppe schütteten. Das verwandelte die Treppe in eine Rutschbahn. Der Küchenchef, übrigens ein Deutscher, ein ehemaliger Offizier, der von der Front in die Trudarmee geschickt worden war, beschloss Ordnung in die Sache zu bringen und die Ordnungsverletzer zur Verantwortung zu ziehen. Ich stand als erster in der Schlange und nahm zum Schein einen Schluck von diesem Gebräu, den Rest schüttete ich auf die Treppe und reichte den Napf nach Suppe. Plötzlich packte mich dieser große kräftige junge Mann, der noch die Offiziersuniform trug, am Kragen und schleppte mich schreiend zum Abteilungsleiter mit 20 Tagen Strafarest drohend. Wenige kamen lebend da raus. Ich erklärte, daß ich den Aufguß nicht mehr trinken konnte und ihn auf die Treppe geschüttet habe, weil ich in der Aufregung keinen passenderen Platz sah. Der Leiter der 1. Abteilung, ein Jude mit russischem Namen Loginow, fragte den Küchenchef, ob er einen Kübel für die Aufgußreste vogesehen hat. Er antwortete auf militärische Art “keinesfalls!“ „Dann machen Sie es so, wie es sich gehört, dann wird die Treppe sauber sein“, befahl der Vorgesetzte und ließ ihn gehen. Ich blieb aber weiterhin stehen. Und da, wo wir allein blieben, sagte der Vorgesetzte plötzlich auf Deutsch „Hab ich es richtig gemacht?“ Meine Antwort war: „Ganz richtig“. „Du bist frei“, - sagte er mir doppelsinnig zum Abschied.
Später wollte es das Schicksal, daß ich noch einmal diesem für jene Bedingungen untypischen Leiter begegnete. Nach der erfolgreichen Schlacht um Stalingrad hat sich die Ernährung der Trudarmisten ein wenig gebessert, und es schimmerte die blasse Hoffnung am Leben zu bleiben. Für unsere Brigade ist eine besondere, reichliche Verpflegung angeordnet worden. (insgsamt waren es drei Verpflegungsstufen.) Diejenigen, die die Tagesnorm mit 130% erfüllten, bekamen 1 Kilo Brot. Unser Brigadier war ein junger, flegelhafter Mann, der kein Mitleid mit unsereinem hatte. Es kam mal vor, dass unsere Brigade besonders schwere Lade- und Entladearbeiten erfüllen musste, und so bekam einige Tage hintereinander jeder das ihm zustehende Kilo Brot, ich aber, der Schüchternste, den 800 Gramm Rest. Ich habe mehrmals versucht, das beim Brigadier zu klären, er aber hat mich jedesmal grob angeschnauzt. Sich nach dem Grund zu erkundigen, wollte er nicht, oder ihm bangte davor. Da beshloß ich mich bei dem Kolonnenvorgesetzten zu beschweren. Der hat sich in Brigadiers Abwesenheit bei dem Gruppenleiter erkundigt, wie ich arbeite, die Antwort war „gewissenhaft“, und der Vorgesetzte versprach mir zu helfen. Es vergingen aber 5 Tage und nichts hat sich geändert. In der Verzweiflung hab ich mich an die letzte Instanz zu wenden entschieden, an Loginow. Als ihm bekannt wurde, daß ich die Tagesnorm auf 137% erfülle, hat er mich nach dem Brigadier geschickt. Er lag auf der Schlafbank und machte vorerst eine lange Brühe, aber als ihm die Ursache klar wurde, sprang er wie besessen auf. Vor dem Abteilugsleiter hatte man Respekt wegen seiner Strenge gehabt. Auf Anhieb kriegte er beim Brigadier raus, daß ich die Wahrheit gesagt hatte. Loginow befahl ihm mit eiskaltem Ton: „Morgen früh geben Sie Ihre Ration dem Schneider und Sie geben sich mit 800 Gramm zufrieden, solange bis Sie die Ursache nicht klären, warum er so wenig bekam. Klären Sie das über die Verwaltung und binnen 5 Tage soll er die Brotdifferenz bekommen! Kopiert?!“ Der Brigadier war wie vom Wind weggeblasen und wir wechselten dieselben Worte auf Deutsch wie auch das vorige Mal. Das Herz hüpfte mir vor Freude, daß endlich die Gerechtigkeit gesiegt hatte, und auch bitter, daß ein gerechter Vorgesetzter in der Trudarmee bestätigt... Diese auf den ersten Blick unwesentlichen Vorfälle aus meinem Tscheljabinsker Leben sind auf ihre Art und Weise bemerkenswert. Ich denke, daß sie bildhaft schildern, was für eine Willkür in der Trudarmee herrschte, ungeachtet der strengen Reglementierung unseres ganzen Lebens. Und das Kränkendste war, daß manchmal auch unsereiner, die sich ein Bißchen hochgeschafft haben, uns beleidigten. Um Gerechtigkei zu erlangen, waren wir manchmal gezwungen, uns an die hohe Obrigkeit zu wenden. Diese Versuche aber, waren natürlich nicht jedesmal erfolgreich, wie gerade beschrieben. Ich erinnere mich an den Versorgungsdienstleiter unserer Abteilung Silberman, der zufälligerweise wie auch Loginow Jude war. Wir froren in den Gummistiefeln, beschwerten uns,daß wir nicht arbeiten können. Dieser Langfinger aber, wie es sich herausstellte, hat die Filzstiefel, die uns zustanden, auf dem Markt verkauft. Es gab Gerüchte, daß man ihn dabei erwischt und vor Gericht gestellt hat, da bin ich mir aber nicht sicher.
Unsere Brigade aus 15 Mann erledigte alle Arbeiten beginnend mit der Grundsteinlegung, Maurerarbeiten bis zu der Innenaustattung, Malerarbeiten, Fenster,- und, - Türeneinbau und Plinthen. Bloß den Fußboden haben wir nicht gestrichen. Viel Zeit hat Bauholz-, Zement-, und Kalkabladung in Anspruch genommen. Wenn es notwendig war, arbeiteten wir Tag und Nacht, bei Wind und Wetter und haben 2 bis 3 Tagesnormen erfüllt. Woher bloß die hungrigen, ausgemergelten Leute die Kraft schöpften? Die sogenannte Stachanowwachtnorm habe ich mehrmals auf 300-400% überboten. Aber außer Losungen, die man unter Blasmusikbegleitung an die Wand hängte, hatte niemand was davon. Aber einmal wurde ich mit Erholung in dem 1. Erholungsheim in der Zone belohnt. Die Nahrung war hier wesentlich besser, und ich, der so ausgehungert war, konnte mich gar nicht satt essen. Vorwiegend erholten sich in dem Heim Leute, die körperlich nicht schwer arbeiteten, die nicht so stark ausgehungert waren und teilten ihre Rationen mit mir. Außerdem unterstützte mich nahrungsmäßig mein Schulkamerad David Richter. Er arbeitete in einer Schweinefarm und brachte mir Ölkuchen (Abfälle von Sonnenblumenölproduktion), was ich genau so lecker fand wie auch die Vierbeiner.
In diesem „Kurort“ bin ich in so eine Art Schläfrigkeit geraten, daß ich manchmal gar das Mittagessen verweigerte. Die Ärtzte untersuchten mich einige Male und wußten nicht, was mir fehlte. Und plötzlich wurde ich mit einem Fieber von 40° auf die Krankenstation eingeliefert. Von dorther brachte man mich in das zentrale Tscheljabinsker Krankenhaus. Schon unterwegs habe ich mich besser gefühlt. Die Krise war scheinbar vorüber. Ich wurde auf der Typhusstation untergebracht und trotz meiner Behauptungen, daß mir nichts weh tut, ließ man mich einen Monat lang nicht fort. Am schwierigsten war die erste Woche. An eine so ausgiebige Nahrung gewohnt, bekam ich hier jetzt nur 40 Gramm Brot – einen klebrigen schwarzen Klumpen. Außerdem stand uns zum Mittagessen eine Wassersuppe und Wasser zum Abendbrot zu. Diese kümmerliche Nahrung brachten meine körperlichen Kräfte zum Schwinden, mir ging's wieder wie zuvor.
Da kam zum Glück eine Arztkomission aus Moskau und hat festgestellt, daß ich gar keinen Typhus hatte. Meine monatelangen Leiden waren umsonst. Diesmal wies man mich in ein Sonderkomando unserer Abteilung zur Erholung ein. Halbtote Menschen nahmen eine ganze Baracke ein. Der Komandovorarbeiter hat sich über mich erbarmt und schickte mich auf den, von allen begehrten Arbeitsplatz, wo das Brot auf Portionen zugeschnitten wurde. In einem Monat habe ich ganz schön zugenommen – 11 Kilo, die Ärtztin aus Moskau hat mich kaum wiedererkannt. Nach so einer langzeitigen Erholung (die einmalig in Tscheljabinsk war) kehrte ich gerne zu unseren Malern zurück.
Leidensgefährten
Es gelang mir in den ersten Monaten sehr schnell (2-3 Tage) die Hauptdaten von meinen Leidensgefährten im Gedächtnis zu speichern (ca. 50 Mann). Aber ein halbes Jahr später hat mein Gedächtnisvermögen drastisch nachgelassen. Dazu hat noch das beigetragen, dass wir stets aus einer Brigade in die andere versetzt wurden.
Und trotzdem versuche ich meine Kameraden beim Namen aufzuzählen: Wanja Völker aus Sympheropol, Franz Remer aus Kertsch, Bogdan Keller aus Taschkent, Robert Esska aus Nordkasachstan, Kischler aus Rumänien (Brigadier), Eduard Doos aus Engels, mein Vetter und Landsmann David Schneider, Fedja Bossert, David Justus, Andrej Bischel, Karl Ginsburg aus Irkutsk, Wolodja Goppe, Sascha Ungefug, Fedja Stolzer, Riss. Besonders stark hat sich in mein Gedächtnis Arnold aus Sympheropol eingeprägt. Er hat die Kunstfachschule in Odessa absolviert und hat dort den Bahnhof mit Malerei und Fresken versehen, der während des Krieges zerstört wurde.
Dank Arnold haben wir hochqualifizierte Malerarbeiten auszuführen gelernt. Da wir dieses Handwerk uns angeeignet hatten, haben wir 1945-46 „äußerst wichtige Objekte“ - Generaldatschen im Kurort Kaschtak bei Tscheljabinsk. Nach Kriegsende hat man mit der Entlassung der Trudarmisten mit unabgeschlossener Hochschulbildung angefangen. Wir haben auch unsere Entlassung eingereicht und hofften im Herbst nach Hause zu dürfen. Aber es ist uns gesagt worden, dass wir eher zu Hause sein werden, wenn schnellstens eine Arbeit von uns erledigt wird. Man steckte uns mit einer NKWD- Begleitperson in einen Zug, und wir fuhren los. Keiner von uns konnte ahnen, dass diese Reise den Rückkehr zu unseren nächsten Verwandten auf längere Zeit verschiebt.
Sonderaufgabe
Am 16. Oktober 1946 ist unser Malerkommando auf der Eisenbahnstation Kyschtym im Norden des Gebiets Tscheljabinsk angekommen.
Von hier aus sind wir mit einem Lastauto zu dem 30 Kilometer entfernten geheimen Zielobjekt gefahren worden.
Selbstverständlich hatten wir keinen blassen Schimmer über die Zielbestimmung dieses Objekts. Was uns bei der Ankunft aufgefallen ist, waren die Baracken in der Taiga mit Doppelschlafpritschen. Stellenweise waren auch Jurten zu sehen. Die Stadt, die später die verschlüsselte Bennenung „Tscheljabinsk-40“ erhielt, deren Errichtung stand noch bevor. Anfangs war der Weg bis zur Station mit Sohlbalken gepflastert, und die Autos, mit denen hauptsächlich die Obrigkeit fuhr, sind oft steckengeblieben. Das geheime Objekt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so streng von der Außenwelt abgeschirmt. Die Vorbereitungsarbeiten jedoch waren binnen einiger Monate vorbei. Es sind gute Zufahrtstraßen gebaut worden, allmählich verschwanden die Baracken mit den Pritschen, die Jurten. Das Zugangsregime ist ummer strenger geworden. Und das Lebensmittelmarkensystem wurde vom Lebensmittelüberfluß (gezuckerte Kondensmilch, in Blechdosen konservierte Fleischprodukte und so änliche Delikatessen) abgelöst.
Anfangs wurden wir zum Feierabend gar extra belohnt - wir bekamen Trinkspiritus und Wurst von hoher Qualität (Krakauer Wurst).
Da ist uns klar geworden, wohin wir geraten sind, dass es eine geschlossene, äußerst geheime Zone ist und mit dem Rauskommen in absehbarer Zukunft nicht zu rechnen ist.
Die Isolation des Objekts von derAußenwelt hat sich durch die strenge Kontrolle unseres Briefwechsels verstärkt.
Ich erinnere mich an einen tragikomischen Vorfall, der sich mit einem unserer Kerle ereignet hat. In Kasachstan hatte er ein Mädchen, dem er oft flammende Liebesbriefe schrieb. Die Mädels jedoch, die die Briefe zensiert haben und denen das Lesen dieser Briefe lästig geworden war, beschlossen diesem Briefwechsel auf weiblich tückische Art ein Ende zu setzen. In einem der Briefe haben sie mit dem Kavalier nachgeamter Handschrift zwischen die Zeilen geschrieben, dass er für 12 Jahre Gefängnis verurteilt wurde. Der Inzident ist in die Öffentlichkeit gedrungen, und den armen Kerl steckte man tatsächlich ins Gefängnis als Denkzettel für Irreführung. Ihm blieb nicts mehr übrig, als neue Briefe zu senden, diesmal jedoch nach Moskau zu sämtlichen Behörden in Hoffnung seine Unschuld nachzuweisen.
Dank der Moskauer Begutachtung ist die Handschriftfälschung festgestellt worden. Infolgedessen hat unser Held 3 Jahre abgesessen, nicht aber 12.
Erst nach und nach haben wir die Grandiosität der Baumaßstäbe unserer geheimnisvollen Stadt begriffen. Genaue Zahlen hat man uns selbstverständlich nicht mitgeteilt.
Es gab hier ein Holzbearbeitungswerk, in dem eine große Anzahl von Zimmerleuten und Tischlern - 2 bis 3 Tausend Mann arbeiteten. Außerdem eine Unmenge von Monteuren, Elektrikern und Fachleuten sonstiger Berufe etwa 1000 Mann, Stuckarbeiter 700 bis 1000. Der Bau wurde von etwa 100 Aufsehern, Bauführern, Buchführern und sonstigen Administratoren verwaltet. Wir, Maler zählen 350 bis 400 Mann. Brigadenleiter unserer drei Brigaden waren Deutsche – die schon oben erwähnten Stolzer, Friedenberg und ich.
Außer denen, die vertragsmäßig arbeiteten, hat man auf dem Bau auch eine Unmenge von Bauarmisten und Häftlingen beschäftigt. Manchmal verrichteten wir auch Arbeiten gemeinsam mit den Häftlingen. Wenn, zum Beispiel, eine umfangreiche Tischlerarbeit anstand, brachte man zu uns Männer, auch Frauen zum Fensterputzen in den neugebauten Häusern.
Die Sträflingslager haben wir aber nicht gesehen, wußten auch nicht, wo sie sich befanden. Es gab auch eine Sonderkategorie, zu der 17 bis 18-jährige Mädchen gehörten, die nach dem sogenannten Drachenerlaß wegen Verstoß gegen Arbeitsdisziplin verurteilt wurden.
Deutsche sah ich unter ihnen keine. Das Lager für diese durch den Erlaß verurteilten Mädchen, wo die Baracken ein wenig besser waren als unsere, und wo etwa 2000 Mädchen wohnen, lag neben unserem. Meiner Meinung nach war diese Nachbarschaft kein Zufall.
Uns stand bevor in erster Linie die Wohnhäuser, das Gebäude des Theaters, das Lichtspieltheater, das Institut für Kernphysik, (das später den Namen I.W. Kurtschatow bekam), Cottagen für Generäle, die Obrigkeit und hervorragende Wissenschaftler zu bauen. Es waren 5 bis 10-Raumwohnungen. All diese Häuser baute man im Nadelwald, an einem malerschen See. Die Cottagenausstatung haben wir über eine längere Zeit mit meinem Kamerad Karluscha Ginsburg gemacht.
Ein Paar Monate pro Cottage brauchten wir schon. Im Institut dauerte die Ausstattung des Arbeitszimmers für Kurtschatow, der Bibliothek und der Aula anderthalb Jahre.
Wir hatten Glück, den berühmten Wissenschaftler einige Male zu sehen. Bei Ankunft begrüßte er uns freundlich: „Guten Tag, Meister!“, beobachtete einige Augenblicke unsere Arbeit und verschwand unbemerkt. Später kriegten wir den Auftrag, auch sein Cottage auszustatten. Kurtschatow war zu dieser Zeit verreist und wir wurden von seiner Gattin kommandiert.
Nebenan lag auch das Haus des Generalleutnants E. P. Slawskij, der später lange Jahre das Mittelmaschinenbauministerium der UdSSR leitete und für seine Verdienste dreifacher Held der sozialistischen Arbeit wurde. Bei den beiden hat uns die Arbeit Spaß gemacht. Bei Kurtschatow haben wir in zwei Zimmern eine Tapetenausstattung gemacht, in den übrigen drei-kleberkreide Couleur. Hier arbeitete mit uns ein Tapezierer Namens Smirnow aus Moskau. Weiterhin haben wir einige Male das Arbeitszimmer eines Generals im Atomwerk ausgestattet, wo wir wie eingefleischte Feinde, auf Schritt und Tritt bewacht wurden.
In den Generalcottagen haben wir Schlafzimmer, Besuchszimmer, Arbeitszimmer u.s.w. verziert.
Vor der Ernennung zu Tscheljabinsk-40 ist er 8 Jahre lang Direktor des Uralmaschwerks gewesen. Die Hälfte seines Hauses haben wir zu zweit ein halbes Jahr lang, und die zweite Hälfte zu fünft zwei Monate lang ausgestattet.
Für die Arbeit auf diesen eigeartigen Objekten wurde ich von der Obrigkeit beauftragt die besten Arbeiter auszuwählen. 10 Mann habe ich ausgesucht - je zwei pro Cottage. Mit mir arbeiteten meine alten Kameraden A. Bischel, W. Goppe, D. Schneider, Riss, A. Ungefug, R. Esskka, K. Ginsburg, wie auch Werner, Wasja Grebenjuk und Sascha Dewjatkin. Als Oberbauleiter war einer von meinen früheren Bekannten O. Arnold. Er kam mit der Obrigkeit nicht klar, sie konnte ihn wegen seinem Gerechtigkeitssinn nicht dulden. Schließlich wurde er 1952 mit seiner Frau nach Leninabad versetzt. Vor seiner Abreise übergab er mir die Schlüssel von seiner Einraumwohnung. Ich ging zum Verwalter und er genehmigte mir den Einzug in diese Wohnung. Es muss gesagt werden, dass nur die Wenigsten Wohnungen bekamen. In erster Linie wurden die Arbeiter des Atomwerks mit Wohnungen versorgt. Diejenigen von uns, die Familien gründeten, bauten für sich selbst schlichte Behausungen. Etwa hundert deutsche Frauen arbeiteten bei Tscheljabinsk-40. Und als Ehefraukandidatinnen waren sie, wie scon gesagt, Mangelware. Russinnen heirateten wir auch, die sogenannten Ukasnizy. Eine von ihnen, G.E. Smirnowa aus Kostroma ist meine Frau geworden.
Die Trudarmisten arbeiteten ... für Berija
Im letzten Jahr arbeiteten in meiner Brigade Russen und Deutsche ungefähr zu gleicher Zahl. Wir lebten friedlich miteinander, Konflikte gab es zwischen uns so gut wie keine. Wenn im Atomwerk Havarien passierten, hat man dorthin nur Russen hingeschickt. Zurückgekommen haben sie erzählt, das es ihnen bange ist, und dass sie, je schneller desto besser, von hier weg wollten. Und sie fügten hinzu, dass es an diesem verdammten Ort besser wäre, Deutscher zu sein. Die deutschen Fachkräfte (Montagearbeiter oder uns Maler) hat man in sehr seltenen Fällen eingesetzt. Als wir die russischen Kollegen von der Havarieliquidation zurückkommen sahen, und uns ihre Eindrücke anhörten, fühlten wir uns, selbstverständlich, nicht beleidigt. Im Oktober 1949 lieferte das Werk das erste Produkt für die Atombombe. Das war Anlaß zu einer großen Feier. Was da produziert wurde, ist nicht an die große Glocke gehängt worden, aber jedermann wußte das.
Als wir nach Tsceljabinsk-40 kamen, war in den naheliegenden Seen sauberes Wasser und es gab auch Fische drin. Anfang der 50-er Jahre gingen die Fische langsam zugrunde.
Über die Krankheiten der Menschen war es nicht üblich öffentlich zu sprechen, Viele verspürten jedoch irgendwelche Müdigkeit. Die Arbeiter des Atomwerks wurden gut bezahlt. Aber die Männer büßten die Zeugugsfähigkeit ein und ertränkten den Kummer im Wein.
Im Institut für Kernphysik, dem Atomwerk zum Gegensatz, sind wir regelmäßig gewesen. Man sagte, dass das Gebäude aus der Luft einem Flugzeug ähnelt. Von den Mitarbeitern des Instituts waren wir vollkommen isoliert. Für sie waren sogar von uns getrennte Aufgänge bestimmt. Um dieses Riesenobjekt schneller fertigzustellen, wurden bis zu 200 Maler herangezogen. Von der Regierung aus leitete dieses Atomprojekt Berija.
In Tscheljabinsk-40 gehörte ihm ein Haus aus 6 Räumen, obwohl er nur 2-3 Mal im Jahr hierherkam. Nebenan befand sich ein Hotel für Generäle. Ich erinnere mich, wie wir mal mit Ginsburg zwei Generalwaggons reparierten. Als wir aber mit dem dritten angefangen haben, bemerkten wir sofort, dass da irgendwas nicht stimmt - eine völlig andere Bewachung, ein Kommandant. Und was da zu reparieren war, konnten wir nicht sehen. Alles in Glanz, luxuriöse Möbel, Spiegel hinten und vorne, ein Radioempfänger, mit dem man die ganze Welt emfangen könnte. Außer Salon und Küche waren im Waggon auch Schlafzimmer für den Herr, den Arzt und den Koch. Gerade die sollten wir aufs Neue ausstatten, auch die Decke im Salon. Unser dritter Kollege, Smirnow kam mal ins Gespräch mit dem Kommandanten. Danach hat er uns im Flüsterton mitgeteilt, dass der Waggon, den sich Berija angeeignet hat, früher Ribbentrop gehörte, und es war auch verständlich, dass der neue Besitzer die Ausstattung des faschistischen Bonze ändern wollte. Als gerade die Arbeit im vollen Gange war, erschien für eine Woche Berija höchstpersönlich. Es ist nicht scwierig sich vorzustellen, wie wir uns fühlten. Wir bannten jedoch unsere Nerven und beendigten mit Erfolg die schwierige Arbeit.
Das war die Paradoxie des Stalinsystems: Die unzuverlässigen Deutschen, die Trudarmisten, dienten dem grausamsten Diktator, dem allermächtigsten Chef „der Organe“. Vor Berija hatte man panische Angst. Immer, wenn er in Tscheljabinsk-40 Besuch machte, buk für ihn nach extra der Bäckereidirektor Schmidt eigenhändig. Hier, wie auch allerorts zu jener Zeit, wurden auf Berijas Anweisung sogenannte Geheimzimmer eingerichtet, eine Art von parallelen Personalabteilungen. Auf diese Weise wurden unermüdlich Gespräche und Gerüchte gesammelt, für die die Leute später büßen mußten. Nicht beneidenswert war auch das Schicksal von Schmidt. Berija hat sich bei ihm „bedankt“, befahl ihn mit den Kriminalverbrechern in demselben Waggon nach Magadan zu verbannen. Zu jener Zeit hat sich eine richtige Hexenjagd entfaltet, nachdem in Moskau der „Ärzteprozess“ zusammengeschustert wurde. In Tscheljabinsk-40 gab es genug Juden, auch unter der Obrigkeit, die nun verfolgt wurden. Sie verschwanden, keiner wußte wohin. Einige Jahre später hatte ich die Gelegenheit einen von denen, Oberstleutenant im Medizindienst Epstein, zu treffen. Er war in Kusbass an dr Hochschule für Weiterbildung der Ärzte tätig.
An die Nachricht von Berijas Verhaftung konnten wir kaum glauben. Er war doch so gut wie der zweite Stalin. Aber bald darauf haben sich die Folgen seines Arestes bemerkbar gemacht - aus Tscheljabinsk-40 sind alle Generäle, die dem gestürzten Satrapen untergeordnet waren, nach Moskau abberufen worden. Und als Stalin Nr. 1 starb, wir arbeiteten zu diesem Zeitpunkt an der Instandsetzung eines Kaufladens, hat sich keiner von uns Malern gegrämt, einschließlich auch der Russen. Im Gegensatz, wir haben auf Besserung unserer Lage gehofft. Wenn schon irgend jemand den Tod des geliebten Führers betrauert hat, so waren es die Ehefrauen der Offiziere.
Generalsgnade
Als ich in Tscheljabinsk-40 arbeitete, hatte ich das Glück mich dem Bauvorgesetzten Generalmajor M.M. Zarevskij anzunähern. Ungeachtet seiner hohen Stellung, obwohl er für Errichtung eines außerordentlichen Objekts verantwortlich war, erwies er sich als herzlicher, entgegenkommender Mensch. Wir waren gerade dabei, den Cottage seines Vorgängers, Generalmajor Rappoport einzurichten, wie er nach Moskau abberufen wurde. Es hat sich herumgesprochen, dass er sich dem Riesenbau nicht gewachsen zeigte, insbesondere beim Bau von Zufahrtstraßen. Wir mußten zu fünft an der Instandsetzung des Hauses für den neuen Chefs schichtweise Tag und Nacht arbeiten, weil seine Familie schon aus Moskau losgefahren war, und der Waggon mit Möbeln ebenfalls unterwegs sein mußte. Mein Vorgesetzter, Hauptmann Wolodin sagte: „Schafft ihr das rechtzeitig – kriegt ihr eine Belohnung“, und die gab´s tatsächlich - ich bekam meine 700 Rubel. Die Familie des Generals war da: Frau, Tochter und die Hausgehilfin. Als der Waggon angekommen war, hat es sich herausgestellt, dass die Möbel, die Bilderrahmen und sonstige Sachen zum Teil beschädigt sind. Die Obrigkeit hieß mir das alles zu reparieren und versprach 10 Tage Urlaub dafür. Es hatte keinen Sinn ihn hier abzubummeln - wenn man in der Freiheit beschränkt ist, wird sie besonders begehrt. Außerdem hatte ich den heißen Wunsch meine Mutter zu besuchen, die sich bei Swerdlowsk befand. Eine Genehmigung zu kriegen, die Zone zu verlassen, war so gut wie unmöglich. Schweren Herzens entschied ich mich an Zarewskij zu wenden.
Diese heikle Sache schob ich auf den letzten Arbeitstag. Der General kam wie gewohnt um 7 Uhr abends zur Mahlzeit, danach fuhr er wieder zum Dienst bis 12 Uhr Nachts. In diesem Rhythmus arbeitete damals die ganze Obrigkeit. Ich tat meine Arbeit und strebte danach, in Zarevskijs Nähe zu kommen. Die Hausgehilfin brachte das Abendbrot. Das, was gebracht wurde, war wider seines Geschmacks - der General bevorzugte allen Gerichten nämlich Krebssuppe. Sich entschuldigend kam die Frau rein. Er wies an, dass er morgen diese Suppe haben will. Im Herzen dachte ich: Pech gehabt, der General ist schlechter Laune und so eine Gelegenheit, mich an ihn zu wenden wird sich wohl nicht noch einmal bieten. Aber meinen Befürchtungen zum Trotz wendete sich alles zum Guten. Der General hieß mich ein Gesuch auf seinen Namen zu schreiben. Vor Freude ganz von Sinnen rannte ich nach Hause.
Und am nächsten Morgen, zu meinem Schrecken, verspätete ich mich. Ich eile zum General mit dem Gesuch und sehe: Sein 8-Zylinder Beuteauto gelber Farbe fährt auf mich zu. Zarevskij jedoch, hatte mich erblickt, hielt das Auto an und mir zugewinkt. Ich reichte ihm das Papier hin, worauf er sagte: „Morgen gehst du zu deinem Kommandanten und kannst fahren“. Als ich zum Kommandanten – Major Musykantskij gekommen bin, hat es sich herausgestellt, dass er von nichts weiß. Auf meine Bitte im Empfangszimmer anzurufen, erwiderte er: „Sie sind wohl verrückt? Er ist General, ich – bloß Major. Das Risiko gehe ich nicht ein.“ Mir blieb nichts weiteres übrig - am Abend ging ich wieder zum General. Die Wache ließ mich durch. Zarevskij, aus dem Gästezimmer kommend, sagte zu mir: „Ich habe vergessen, dem Kommandanten Bescheid zu sagen, morgen können Sie fahren.“ Am Morgen, mit aufgegebener Hoffnung, komme ich zum Kommandanten. Der, unerwartet lächelnd, bietet mir den Stuhl an und und befiehlt die Erlaubnis auf Abreise zu erteilen. „Sind Sie Generals Privatchauffeur.“ „Nein, - sage ich, - Maler.“ Befremdet guckte er mich an. „Also Sie sind sein Verwandter?“ „Ach, wo denken Sie hin,“ - stotterrte ich ihn verblüfft. Schließlich hatte ich die Tatsache, dass ich meine Mutter und meine Schwestern besuchen durfte, dem General zu verdanken. Der Kommandant aber, im Majorrang, hätte nicht wagen dürfen, mir diese Art Erlaubnis zu erteilen. Zurückgekehrt bin ich, selbstverständlich, rechtzeitig. Der Kommandant: „Sie hätten auch getrost länger bleiben können, die Eile war unnötig.“
Kann mich erinnern, wie ich im Gästezimmer des Generals die Kronleuchterrosette gestaltete. Unser Bauleiter O. Arnold wollte die Gestaltung auf seine Art, der Architekt, Major Gurewitsch auf eine andere. Am Abend habe ich diese Meinungsverschiedenheit Zarevskij mitgeteilt, um seine Meinung zu wissen. Er darauf: „Und wie siehst du das?“ Ich habe es ihm gesagt, worauf der General: „Kannst´s so machen. Baumeister hier bin ich, du – der Meister.“
... Trotz allem haben wir die Zone hinter uns
Jahre vergingen. Das stalinistische Bauprojekt war im großen und ganzen vollendet. Im Verwaltungsgebäudeblock des Atomwerkes führten wir vollständig die Ausstatungs-, Tischler- und Parkettarbeiten aus. Viele von uns hofften, dass es jetzt soweit sei, uns zu entlassen. Aber es stand noch bevor etliche Wohnhäuser zu bauen. Erst 1953 hat man angefangen, die Trudarmisten nach und nach zu befreien. Anfang Herbst sind laut der Erlaubnis aus Moskau die meisten Deutschen weggefahren. Ich ging auch zum Leiter, Major Rodionov, mit einem Entlassungsgesuch, der wollte aber davon nichts hören. Nach langem Betteln jedoch, schrieb er auf meinem Gesuch: „Es ist der einzige Fachmaler, der mir geblieben ist. Ich stelle es in Ihr Ermessen“. Sein Vermerk richtete er an Zarevskij.
Als ich versuchte den General aufzusuchen, stellte es sich heraus, dass er nach Moskau verreist war. Auf seine Rückkehr zu warten, hatte ich keine Geduld, und ich entschied mich, mich an Zarevskijs Stellvertreter, den Oberst Tschestnych zu wenden. Für mich selbst dachte ich: „Vieleicht habe ich Glück, für ihn habe ich ja auch seine Fünfraumcottage ausgestattet“. Er jedoch rief bei Rodionov an, konnte ihn aber nicht erreichen. Ich jammerte, dass ich schon 12 Jahre lang von zu Hause weg bin. Er sagte, es sei nicht möglich, und dass ich in 20 Tagen vobeikommen soll. Ich kam, es stellte sich aber heraus, dass er vergessen hat, sich um mein Anliegen zu kümmern. Da versuchte er wieder Rodionov anzurufen und wieder fehlgeschlagen. Und auf einmal, ganz überraschend, unterzeichnete er mein Gesuch.
Obwohl ich außer mir vor Freude war, wußte ich, dass das Schwierigste noch bevorstand. Da Rodionov gegen meine Entlassung gewesen war, traf ich alle Sicherheitsvorkehrungen, dass weder die Personalabteilung, noch sonst wer über mein Vorhaben Wind bekam. Zu Hause bereitete ich alles für die Abfahrt vor, in der Werksverwaltung ließ ich mir den Passierschein ausstellen, bestellte ein Auto und, obwohl ich schon die Kündigung hatte, ging ich zur Arbeit. Zur der Zeit arbeiteten wir an der Ausstatung eines Kaufhauses im Stadtzentrum auf dem Prospekt des Sieges (vor kurzem trug er noch den Berijanamen). Dass Rodionov an diesem Tag zu uns zu kommen vorhatte, um unsere Arbeit einzuschätzen, wußte ich. Als ich ihn sah,sagte ich ihm, dass für die Nußbauausstatung die nußbraune Farbe fehlt. Mit ihm fuhr ich zum Lagerer, das 10-15 Kilometer von der Stadt entfernt war. Die Farbe fand ich mühelos. Den Lagerist machte mein Kumpel Roman Seel aus Fergana. Wir wohnten in Nachbarschaft und er war über mein Vorhaben im Bilde. Ich borgte mir sein Fahrrad, dem Chef jedoch, der auf dem Speicher noch eine Zeitlang zu tun hatte, sagte ich, dass ich zur Arbeit fahre. Er hatte nichts dagegen. In rasender Eile jagte ich davon.
Am Verwaltungsgebäude stand schon der mir zugeteilte LKW bereit. Das Fahrrad reingeschmissen, eilte ich zu meiner Wohnung. Da warteten schon meine Kameraden, die die Sachen hurtig aufluden. An der Ausfahrt der Zone jedoch sollten die Sachen abgeladen werden, zur Durchsuchung. Die Soldaten durchwühlten alle Klamotten, Papiere, brachen das Grammophon auf, dessen Schlüssel verloren ging. Der Chauffeur sagte mir, dass er, solange die
Durchsuchung dauert, es bis in die Stadt und zurück schafft (etwa 20 Kilometer). Ich willigte ein. Das aber habe ich bitter bereuen müssen. Die Kontrolle war beendet, der Lastwagen blieb jedoch aus. Verzweifelt überlegte ich: " Gleich kehrt der Chef zurück, findet mich in der Bude nicht vor, ruft hier an, und dann geht meine Heimreise flöten." Aber glücklichweise sah ich plötzlich in Richtung Zone einen leeren Lastwagen fahren. Gegen 100 Rubel Belohnung willigte er ein, meine Sachen mitzunehmen. Wenn er auch mehr verlang hätte, hätte ich auch mehr gegeben. Überzeugt, dass die Sachen schon kontrolliert worden sind, half er mir sie aufzuladen, und wir fuhren los.
Auf eine so originelle Weise endete am 23. Oktober 1953 meine durchaus ungewöhnliche Trudarmistenbiographie. Knapp 12 Jahre lang hat es gedauert. Endlich kehrte ich zu meinen Verwandten zurück, die zu dieser Zeit in Stalinsk (heutzutage Nowokusnezk) Gebiet Kemerowo wohnten. Es hat sich so ergeben, dass auch ich dort Wurzeln schlug, das Malerhandwerk auch weiterhin ausübte und 1984 in Rente ging. Heute bin ich 70.
Manches aus meinem langen ruhelosen Leben geriet natürlich in Vergessenheit. Aber das, was ich in der Trudarmee erlebt habe, bleibt in meinem Gedächtnis auf immer.
Nowokusnezk
1990-1993
„Neues Leben“, Nr. 1, 2 Januar 1994
P.S. Heinrich Schneider lebt heutzutage in der Bundesrepublik Deutschland, in der Bad-Lausick. Bald wird er 88. Die Hoffnung, dass er seine Schicksalsgefährten noch aufsucht, schwindet. Aber er will hoffen. Wer weiß? Über seine Anschrift und Rufnummer kann man sich folgenderweise erkundigen: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!