Reinhard Wurster

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Das Licht der Welt erblickte ich am 11. April 1924 in der Ukraine in der Siedlung Lustdorf bei Odessa (heute Tschernomorka).
Meine Mutter hieß Ottilia Wurster.
Den Vater lernte ich nicht kennen.
Mutters Vater, Eduard Ulrichowitsch wurde 1937 am 26. Oktober in Odessa von den Tschekisten erschossen. Den Bruder meiner Mutter erschossen sie schon 1920.

wurster
Von 1936 bis 1942 arbeitete meine Mutter im Kreis Stary Oskol als Deutschlehrerin.
Mir war ein dornenvoller Lebensweg beschieden.
Im Krieg war ich Soldat.
Von 1946 bis 1953 büßte ich meine Strafe im Straflager (Petschorlag) ab.
In der Verbannung in Ust-Zilma (ASSR Komi), traf ich meine künftige Frau Birute. Sie schenkte mir zwei Töchter und zwei Söhne. Der Vater meiner Frau (Litauer, Eisenbahnmeister) wurde 1941 in der Nähe von der Eisenbahnstation Reschety (Region Krasnojarsk) verscharrt...
Meine Mutter lebte in dieser Zeit bei ihren Verwandten in Deutschland und suchte mich in der Nachkriegszeit, sogar in England!
Aber sie zu suchen fürchtete ich mich damals.
Sie verstarb 1954. Sie wusste nicht, dass in demselben Jahr meine erste Tochter zur Welt kam, die wir der Mutter zu Ehren mit dem Namen Ottilia tauften. Sie arbeitet in Palanga (Litauen)als Lehrerin.
Ich und meine Söhne (mit ihren Familien) leben in Deutschland. Meine Mutter ist in der Erde ihrer schwäbischen Vorfahren begraben. Ihr Grab ist nicht mehr erhalten.

Die Gedichte

In der hohen Himmelsferne
Schau, wie dicht das Sterngewimmel...
Wirst du aber selbst zum Sterne –
Findest auch noch Platz am Himmel!

(W. Kriwiljow).


Ein Morgengespräch

Ich hustete, prosnuwschisj auf dem Ofen
Shena uslyschala und fing mich an branitj:
„Ich warnte dich; halt den Balkon nicht offen –
Du kannst davon prostudu podzepitj“

Ich otwetschal: „Die ganze Nacht mnje snilosj,
Dass ich chlestal mit Freunden kaltes Bier!“
Da sagt die Frau: „Towo by nje slutschilosj,
Wenn du, moj milyj, spal im Bett bei mir.“

16.06.96


* * *

Wir sind württembergische Schwaben;
Uns fraßen in Russland die Raben;
Uns lernte man Hoffnung bezwingen;
Sowjetische Marschlieder singen...

Nun hat unser Elend ein Ende-
Sind frei die gefesselten Hände.
Und rufen uns heim in die Ferne
Die lodernden Vaterlandsterne!

Poeten

von J. Lewaschow

Nicht arm ist unsrer Worte Schatz,
Und am Gedächtnis tut ’s nicht fehlen.
Doch findet Wiederholung Platz
Zum Ärger der verstorbnen Seelen.

War leicht zu schreiben dem Homer
In alten gottgelobten Zeiten:
Ihm zur Verfügung stand ein Meer
Voll unberührter Reimstoffsweiden...

Vergingen Jahre – und erschöpft
Ist heut’ das Meer... Und ohne Humor,
Besorgt vor ihrem leeren Heft,
Poeten trinken Wein vor Kummer.

(Aus dem Russischen).


Das zweischneidige Schwert

Ein russischer Deutscher im Sachsenland
Blättert bei Licht deutsche Lieder.
Es schwillt ihm das Herz von Gefühlen entbrannt,
Und rieselt ein Strom durch die Glieder.

Es stand seine Wiege im russischen Staat...
Die Muttermilch war aber stärker.
Und war in dem Weltkrieg er deutscher Soldat,
Dann Häftling im russischen Kerker...

Doch heute für ihn – die Sonne scheint!
Er hat eine Heimat, doch siehe:
Er steht vor dem Völkerschlachtdenkmal und weint,
Gesunken vor ihm auf die Knie.

19.10.1995


Die Neujahrrunde

Wieder kommt das Neue Jahr
Auf die Rundenbahn in Osten;
Dreht der Welt das Räderpaar,
Dass die Achsen nicht verrosten;

Dass auf Wegen weit und breit
Bunte Völker sich versöhnen,
Dass des Himmels blaue Kleid
Leuchtet, unbefleckt von Tränen;

Dass wir wandern in’ s Neujahr
Hoffnungsvoll mit hellen Sorgen,
Dass uns schickt der Sonnenstar
Glück und Sorgen jeden Morgen!


Des Spätaussiedlers Muttergrab

In Deutschland hilft mir Gottes Geist
Zu heilen meiner Seele Wunden.
Im Land, wohin ich eingereist,
Hab ich mein Steg und Trost gefunden.

Von hier aus, wenn auch nicht sofort,
Möcht´ich zu dir als Pilger wandeln,
Zum heil’ gen Württemberger Ort,
Wo meine Mutter schläft im Sande.

O liebes, armes Mütterlein,
Wie früh ich Dich verloren habe!...
Ich bin Dein letzter treuer Stein
An Deinem gottverlassnen Grabe.

Nun ruhst an Paradieses Strand,
Wer weiß, wann wir uns wieder sehen.
Doch steuert Deine treue Hand
Bis heute noch mein weltlich Leben.

Im Krieg, wo ’s keinen Ausweg gab,
Bracht´ Dein Gebet mein Boot zu Lande-
Wo heute ruht Dein stilles Grab
In meinem späten Vaterlande.

04.01.1996


Heimkehr

Im Nest zu Haus’ sind Storch und Maus,
Hat seine Heimat jedes Wesen.
Mir, aber, war ein Vaterhaus
Auf Erden nicht bekannt gewesen.

Aus deutschem Heim im Sowjetland
Zog sich zur Sonne meine Blüte;
Doch fand mich die Tschekistenhand,
Brach ab das Unkraut fremder Sitte...

Der Rote Sturmwind griff mich an
Und trieb kopfüber meine Zweige
Zum bessren Los, nach Kasachstan,
Dann in die Ustj-Kulomer Taiga...

„Berliner Zeitung“ gab bekannt –
Wie freudig so was zu erleben! –
Will Jelzin nun das Wolgaland
Zurück den Russlanddeutschen geben!

Wohlan, mein Geist! Doch sei nicht blind...
Wir sind erfahren: So’ ne Kunde,
Süß, wie ein Traum, ist für ein Kind,
Doch für mein Herz- Salz auf die Wunde!

Leb wohl, mein altes Sowjetland,
Samt deinem Wahn und deinen Ketten!
Gib, Deutschland, mir die Vatershand,
Um unsre Seelen noch zu retten!

Ich dank dir, Himmel, für ’s späte Glück,
Dass ich, Dein gottverlassner Sünder,
Bin heut’ ‚ne treue graue Brück’
Von Ost nach West für meine Kinder!

März 1995


Das Spätaussiedlerlied

Wir sind deutsche Frucht
Vom germanischen Stamme,
Zerstreut in der Welt
Aus des Vaterlands Schoß;
Die Fahne, die rot,
Wie das Blut und die Flamme -
Das war unser Elend,
Das war unser Los.

Vom Doppelkopfadler
Bis Hammer und Sichel
War unsere Freundschaft
Den Russen bekannt –
Warum noch bis heut’
Wir uns fühlen nicht sicher
Im gestern sowjetisch
Gewesenen Land?

Behüte uns Gott
Vor uns feindlichen Welten!
Gefährten,
Erhebt gegen uns keinen Stein.
Genug, immerdar
Als Vertriebene gelten,
Für alle nur Sklaven
Und Stiefkinder sein!

Nach Deutschland, nach Hause,
Es schlägt unsre Stunde!
Der Stab in der Hand
Und die Hoffnung im Herz.

Mit singenden Lippen
Und brennenden Wunden
Wir pilgern zur Heimat
In Sehnsucht und Schmerz.

17.08.1996


Deutschland heute

Ich kam nach Deutschland, aber ach,
Ich habe Deutschland nicht gefunden-
Es kniete unter ’m fremden Dach
An einen Schandepfahl gebunden.

Lieb Vaterland, wie schwer zu sehn
Gefesselt Deine alte Knochen!
Dein Edelweiß auf stolzen Höhn
Von Feindeshand ist abgebrochen.

Ist eng und rauh Dein Galgenstrick,
Doch trotz Politiker Gewalten,
Lieb Vaterland, ich wünsch Dir Glück,
Bleib ewig deutsch und ungespalten!

27.05.1997


Ein Valentinsträußchen

В день Валентина, äußerst schlau
Am Ehrentag der Liebe,
К смазливой Spätaussiedlerfrau
Забрались в дом zwei Diebe.

Лёг спать с хозяйкой первый вор
Auf einem Federkissen;
Den zweiten Dieb hat ihr Tresor
Zum Tor hinausgeblasen!

In Leipzig war die Bühne bunt,
Noch heute klingt’ s im Ohre!
Das Lied „О новосёлах“ und
„Am Brunnen vor dem Tore!“

Ансамбль „Реченька“ – wie nett! –
Als ob die Wolgawellen
Шлют свой аусзидлерский привет
Uns Sachsenlandgesellen!

Я сам с „приветом“, господа,
И тонус чуств повышен...
А стих о’кей! Лишь в том беда –
Viel Fremdwörter dazwischen!

21.02.1998


Die Birke am Fenster

(Aus dem Russischen)

Eine blühende Birke
Schaut ins Fenster auf mich;
Schenkt mir Nachtigallieder,
Hoffnung, Liebe und Licht.

Refrain:
O, bitte, sehn dich nicht
Nach dem vergangenen Sommer!
Bewahr die Zuversicht.
Was war – wird wieder kommen.

Süßer Duft, wie im Traume,
Schwebt im blauen Revier;
Traurig unter dem Baume
Nahm ich Abschied von dir.

Wenn auch des Gewitters Dunst
Donnert im Gebirge –
Doch gehört die Liebe uns
Und die weiße Birke...

Wird die Birke im Garten
Wieder blühen im Mai;
Sie tut auf uns warten
Und ist traurig dabei...

Treu am Fenster am nassen
Steht bis heut’ unser Glück.
Schaue nicht so verlassen,
Ich komm wieder zurück!


Es regnet...

Der Himmel weint,
Der Regen tropft und tropft...
Die Trennung naht,
in’ s Herz die Sehnsucht klopft;

Der schwarze Himmel
Macht den Abschied schwer –
Doch sind die müden Augen trenenleer.

Refrain:
Es kommt die Zeit
Der Regen wird zu Schnee
Der Sonnenschein
Vertriebt das Herzenweh.
Doch warte nicht auf mich,
Geliebte Meid:
Der Weg zu dir ist so unendlich weit!

Kein Vöglein schwebt am blauen Himmelszeit;
Bedecken Wolkenschatten trüb die Welt;
Ich suche dich, ich finde keinen Platz –
Wo sind die Vögel, wo bist du, mein Schatz?


Ich warte auf dich

Ich kann lange warten auf Dich;
Lange, lange, weil ich Dir glaube.
Und bei Nacht kann ich schlafen nicht –
Ein Jahr, auch zwei, - wie viel mein Los erlaube.

Und wenn die Kalenderblätter
Fallen ab, wie die Blätter im Garten –
Sag mir nur, dass es nützlich ist,
Dass es Du brauchst dieses Warten!

Ich kann pilgern – erwünsch es nur,
Zum Nordpol und Land der Chinesen;
Zur Venus kann bahnen meine Bahn.
Wo niemand bisher ist gewesen!

Ich kann ohne Tadel und Graus
Keck schreiten den Stürme entgegen,
Zu unserem eigenen Haus,
Wenn nur Du nicht abbiegst von Wege.

Ich kann für dich geh’ n in das Grab,
Ich zitterte nicht um mein Leben;
Alles Beste, was ich nur hab’,
Will ich Dir, mein Engel, geben.

Ich möchte die Welt, die rund, -
Samt Dir in das Himmelreich lenken,
Wenn Du mir Deinen süßen Mund
Und dein treues Herz wirst schenken!

29.04.1998


Mein Widergeburtslied

Widergeburt! – dröhnt ein Glockengeläute.
Widergeburt! – treten Stimmen in’ s Chor:
„Öffnet, verfemte deutschstämmige Leute,
Das, von Tschekisten vergitterte Tor!

Kommet herbei, gottverlassene Seelen,
Sklaven der roten GULAGischen Macht;
Kommt, Kameraden, wir wollen uns zählen;
Steiget vom Kreuz, - unser Werk ist vollbracht!“

Widergeburt! – ist ein Freund ohne Waffen;
Ein schwäbisches Dorf am Schwarzmeerstrand,
Wo deutsche Kinder sorgenlos schlafen
In ukrainischen Heimatland.

31.12.1999

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uafaneHilfe für die Ukraine

Die Stadt Leipzig bereitet sich auf die Ankunft von Menschen vor, die vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ihre Heimat verlassen müssen. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft wird die Hilfe für Menschen auf der Flucht ebenso wie für die Menschen in der Ukraine organisiert und koordiniert.

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